“Die Frage, wann und unter welchen Umständen ein Objekt in ein Museum gelangt, lässt schnell das Bild von einem Filter vor Augen treten, an dessen Rand die Personen stehen, die die Dinge der Sammlung hinzufügen oder eben nicht, die entscheiden, ob ein Objekt museumswürdig ist oder doch nur kultureller Ballast. Die Kriterien für diese Auswahl sind nicht immer auf den ersten Blick transparent und nachvollziehbar. Wichtig ist es daher auch für die Provenienzforschung, die Entscheider in einem Museum näher kennenzulernen, ihre Motivation, ihr historisches und gesellschaftliches Umfeld. Eine museale Sammlung ist mitnichten ein direktes Abbild der Kulturgeschichte, sondern spiegelt vielmehr das Geschichtsbewusstsein, ja manchmal sogar die Ideologie der jeweiligen Protagonisten und ihrer Projektionsfläche ‚Museum‘ wider.”1
In der Sammlung des Schlossmuseums Jever befinden sich auch Objekte, die der Kriegs- und Militärgeschichte zuzuordnen sind. Die Heterogenität und Fragmentiertheit dieses Bestandes weist auf eine nicht sonderlich systematische Sammlungspraxis in diesem Bereich hin. Neben einem Konvolut militärischer Kopfbedeckungen aus dem 19. Jahrhundert (Tschakos und Pickelhauben) sind dies Blankwaffen aus dem 19. bis 20. Jahrhundert, Gewehre und Pistolen, allesamt Vorderlader mit Stein- oder Perkussionsschlössern, Orden und Medaillen, ebenfalls größtenteils aus dem 19. Jahrhundert, sowie Schützengrabensouveniers aus dem Ersten Weltkrieg. Hinzu kommen Objekte, die mit der Erinnerung an Kriege und ihre (militärischen) Toten verbunden sind.
Die Mitglieder des 1886 gegründeten Altertumsverein, der 1923 mit dem 1920 gegründeten Heimatverein zum Altertums- und Heimatverein fusionierte, waren national-konservativ, später auch völkisch und nationalsozialistisch. In den 1920er Jahren sahen sie ihre Mission in der “Pflege echten Heimatsinns” und dem Schutz vor einem “verweichlichenden Großstadteinfluß”.2 Es mag widersprüchlich erscheinen, aber diese Ideologien verbanden die Ablehnung der Moderne und “der Großstadt” sowie die Idealisierung von altem Handwerk, Bauerntum und Landleben mit der von Reichsidee, Obrigkeitsstaat, Militarismus und Großmachtstreben – obwohl Industrialisierung und Großstädte Voraussetzungen für letztere Ziele waren. Daher ist es kein Wunder, dass ein am 30. Juni 1887 in den Jeverländischen Nachrichten veröffentlichter Sammlungsaufruf “Waffen” als bevorzugt ans Museum abzugebende Objekte nannte.3
In diesem Zusammenhang muss die Beschaffenheit des Militariabestandes gesehen werden. Die Pickelhaube wurde als prominentester Bestandteil der zeitgenössischen Uniformen Symbol für deutsche Staatlichkeit und Obrigkeit. Blankwaffen werden aufgrund ihrer Beschaffenheit und der Unmittelbarkeit des mit ihnen geführten Kampfes im Zeitalter der Schusswaffen mit Ritterlichkeit und “guter, alter Zeit” in Verbindung gebracht. Gleichzeitig sind sie Repräsentationen des Militärs und seiner Hierarchien, und damit des Staates.
Der einzige Bezug zu Jever und die Region, der für die meisten dieser Objekte nachgewiesen werden kann, besteht darin, dass Mitglieder des Jeverländischen Altertums- und Heimatvereins sie für sammelwürdig gehalten haben. So repräsentieren sie die Vereinsgeschichte – und damit unmittelbar auch die Geschichte des Schlossmuseums Jever. Trotz des damit verbundenen fehlenden Bezugs zum Jeverland ist es daher gerechtfertigt, die Objekte in der Museumssammlung zu belassen und sie nicht an entsprechend profilierte Museen abzugeben.
Neben den Objekten, die den oben genannten Filter passieren, bleiben andere in diesem hängen und gelangen nicht in die Sammlung. Dadurch entstehen manchmal Leerstellen, die ebenfalls vielsagend sein können. Der Hamburger Volkskundler Albrecht Lehmann stellt dazu mit Blick auf das hier behandelte Thema fest: “Desinteresse am Militär sagt sicherlich ein wenig über die Einstellung der akademischen Intelligenz dieses Landes zu Krieg und Soldaten und vielleicht auch etwas über die Interessenlage in der Öffentlichkeit aus, aber wohl nichts über die tatsächliche gesellschaftliche Bedeutung des Themas.”4
Obwohl es im Jeverland mehrere militärische Einrichtungen gab und gibt und von hier stammende Männer an den Kriegen des 20. und 21. Jahrhunderts teilgenommen haben, sind weder moderne Waffen oder militärische Ausrüstungsgegenstände, noch Erinnerungsstücke aus diesen Militäreinsätzen in der Sammlung vertreten. Ebenso scheinen die wirtschaftlichen und kulturellen Folgen der Anwesenheit von Soldaten in der Region kaum ein Thema des Schlossmuseums gewesen zu sein. So finden sich beispielsweise keine Spuren der in der Umgebung von Militäreinrichtungen üblichen Bordelle, ihrer Sexarbeiterinnen, Betreiber und Kunden in der Sammlung.
Anders als Gewaltakte und ihre materiellen Zeugnisse aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit sind Spuren späterer Kriege und Armeen kaum in den Ausstellungen vertreten. Die virtuelle Ausstellung Kriegs- und Militärgeschichte macht nun einige der wenigen vorhandenen Militariakonvolute zugänglich, die ansonsten nicht in den Räumen des Museums zu sehen sind.
1 Sander, Antje: „Friesenstolz und Vaterland.“ Der Jeverländische Altertums- und Heimatverein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen Heimatbewegung, nationalsozialistischer Ideologie und traditionalistischer Beharrung. In: Spurensuche im Schlossmuseum Jever. Beiträge zur Provinienzforschung, Sammlungs- und Vereinsgeschichte von Christiane Baier, Holger Frerichs und Antje Sander. Oldenburg 2020, S. 51-88, hier: S. 51.
2 Ebd. 55-62.
3 Antje Sander: Friesenstolz und Heimatsinn. Der jeverländische Altertums- und Heimatverein und die Heimatbewegung im Oldenburger Land um 1920. In: Uwe Meiners (Hg.): Suche nach Geborgenheit. Heimatbewegung in Stadt und Land Oldenburg. Oldenburg 2002, S. 306-331, hier: S. 315.
4 Lehmann, Albrecht: Militär als Forschungsproblem der Volkskunde. Überlegungen und einige Ergebnisse. In: Zeitschrift für Volkskunde 11/1982, S. 230-245; hier: S. 236.