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Melitta-Friesland-Keramik aus Varel-Rahling 1954 – 2007
SammlungFilterFilka60 Jahre TischkulturRund um den gedeckten TischGeformt - Glasiert - GeschmücktQuellen & Literatur
MEHR ALS KAFFEE-FILTER …
… DIE SAMMLUNG MELITTA-FRIESLAND-KERAMIK IM SCHLOSSMUSEUM JEVER
Der umfangreiche Bestand im Schlossmuseum Jever umfasst Keramikerzeugnisse aus rund 60 Jahren Produktionsgeschichte im friesischen Rahling bei Varel. Das weitläufige Gelände mit den leerstehenden Hallen wird ab 1954 zur florierenden Fabrikationsstätte für Papier- und Keramikerzeugnisse der Firma Melitta aus Minden. Deren Gebrauchsgeschirr mit Kultstatus kennen wir seit 1982 auch unter dem erweiterten Markennamen „Friesland Porzellan“.
2018 überlässt der renommierte Keramikhersteller Friesland Porzellan GmbH & Co. KG in Rahling dem Schlossmuseum Jever rund 1200 Erzeugnisse aus seinen illustren „Archivbeständen“.
Zu den Produkten des täglichen Gebrauchs aus Porzellan, Steingut und Ceracron gehören – neben den legendären Melitta-Filtern und -Filterkannen – auch aussagekräftige Muster und Präsentationsstücke sowie originelle „Geschenkideen“ samt Sonderserien und Designerkreationen. Highlight und Herzstück der Sammlung bilden jedoch die über 40 Geschirrserien, die von 1956 – 2007 in nahezu lückenloser Reihe Gebrauchsdesign und Zeitgeist deutscher Tischkultur in Form, Farbe und Dekor dokumentieren. Ganz nebenbei geben uns die „Zeitzeugen aus Keramik“ Auskunft über rund 60 Jahre Fabrikation, Firmenmarketing und Industriedesign im Sektor Keramik vom Wirtschaftswunder bis heute.
1932 kommt der erste Melitta-Schnellfilter Nr. 102 aus Porzellan in Trichterform samt Ablaufrinnen im Inneren auf den Markt. Mit seiner 1936 erfolgten Weiterentwicklung – der Boden des Trichters wird schlitzförmig verändert und die Anzahl der Auslasslöcher auf vier reduziert – ist die 1937 am Markt eingeführte, bis heute gebräuchliche „Urform“ des Melitta-Schnellfilters geboren.
In den dreißiger Jahren verkauft die Firma Melitta Schnellfilter für Kaffee und Tee. Die beim Kunden beliebten Kaffeefilter sind nach dem jeweiligen Bedarf in den Größen 100 bis 106 und die Teefilter in den Größen 401 bis 403 mit zugehörigem Filterpapier im Handel erhältlich. Bis heute vertreibt die Firma Melitta ihren bekanntesten Schnellfilter dieser Serie, den Schnellfilter Nr. 102 und das zugehörige Filterpapier unter der Typenbezeichnung der Vorkriegszeit.
SCHNELLFILTER-SYSTEME VON MELITTA – BUNT UND TRENDY IN DER NACHKRIEGSZEIT
Nach einem wirtschaftlich schwierigen Neuanfang in der Nachkriegszeit nimmt die Firma Melitta die Produktion der Schnellfilter wieder auf. Ab 1954 werden Schnellfilter aus Porzellan und Steingut in dem neu gegründeten Zweigwerk der Firma Melitta in Varel-Rahling produziert. Sehr schnell gelingt es Melitta, mit ihren Filtern an den wirtschaftlichen Erfolg der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Bereits Ende 1955 ist der 1.000.000ste Filter verkauft und nur drei Monate später, im März 1956, wird der 1.000.000ste Schnellfilter Nr. 102 in Varel-Rahling hergestellt.
Die bis heute zum Verkauf angebotenen Filter der 100er-Serie weisen immer noch den in den 30er-Jahren entwickelten technischen Grundaufbau auf. Dem jeweiligen Zeitgeschmack folgend verändert sich allerdings im Laufe der Zeit das Erscheinungsbild des Filters wie etwa seine Größe, die äußere Form, der Henkel, die Beschriftung und die Anzahl der Durchlasslöcher.
Mit der von Lieselotte Kantner entwickelten Geschirrserie „Oslo“ wird 1964 das einzige „Filterservice“ Melittas am Markt vorgestellt. Als Zubehör zur Kanne gibt es einen zum Kannendekor passenden 102er-Schnellfilter (102 M). Zur besseren Handhabung dieses Filters ist seitlich am Filterkörper ein ergonomisch geformter Griff angebracht.
In Punkto Filtertechnik geht die Firma Melitta mit der Entwicklung des sogenannten „1-x-Filter-Systems“ in der ersten Hälfte der 60er-Jahre neue Wege. Bei diesem Filtersystem mit nur einer Durchlassöffnung im Trichterboden sowie mit abgeflachten, nicht mehr durchgängigen Ablaufrinnen kann die gesamte, für den Filtervorgang benötigte Wassermenge auf einmal in den Filter eingegossen werden. Als weitere Neuerung wird eine sogenannte Mensur, eine an der Innenwandung aufgebrachte Messskala, eingeführt. Die 1965 am Markt vorgestellten Filter aus Steingut sind nach dem jeweiligen Bedarf in den Größen 1 x 2, 1 x 4, 1 x 6, 1 x 10 konstruiert worden. Der bis heute in deutschen Haushalten gebräuchlichste Filter dieser Serie ist der 1-x-4-Filter, das heißt 1 Schnellaufguss von Hand ergibt 4 Tassen Kaffee.
Auch in den 60er-Jahren bringt die Firma Melitta das in der Nachkriegszeit als Werkstoff der Zukunft beliebte Plastik in Form eines bruchsicheren Plastikfilters zur Marktreife. In Plastik ausgeführt gibt es Filter der 100-Serie und des 1-x-Filter-Systems. Für den „kleinen Kaffeedurst“ steht beispielsweise ab den 80er-Jahren der sogenannte „Kaffeetopf“, ein Tassenfilter bestehend aus einer Tasse, einem 1-x-2er-Schnellfilter aus Plastik samt passenden Filtertüten zur Verfügung.
Trotz der enormen Ausweitung des Filter-Angebots verdrängt ab Mitte der 60er-Jahre allmählich die in der Handhabung komfortablere Kaffeemaschine bzw. der Kaffeeautomat die Schnellfilter vom Markt. Sie verschwinden in den nachfolgenden zwei Jahrzehnten aus vielen deutschen Haushalten. Mit der Retro-Bewegung der frühen 90er-Jahre beginnend gibt es gegenwärtig einen Liebhaberkreis für die als kultig geltenden, formschönen und farbenfrohen Schnellfilter von Melitta.
EINE GLÜCKLICHE ALLIANZ – FILTER-KANNEN-KOMBINATIONEN AUS DEM HAUSE MELITTA IN DER WIRTSCHAFTSWUNDERZEIT
Seit den 30er-Jahren bietet die Firma Melitta zu ihren gerade am Markt eingeführten Schnellfiltern der 100er-Serie passende Kaffeekannen aus Porzellan an. Bereits damals sind Filter und Kanne als Filter-Kannen-Kombination („FILKA“) im Handel erhältlich.
In der Nachkriegszeit nimmt die Firma Melitta mit der Einführung einer neuen Filterkanne für die Schnellfilter der 100er-Serie die Produktion der Filter-Kannen-Kombination wieder auf. Ab 1954 wird die als „Form 0“ bezeichnete Kanne in Steingut und spätestens ab 1956 in Porzellan in Varel-Rahling produziert.
Der Entwurf der neuen Filterkanne für Kaffee stammt von dem Designer Jupp Ernst (1905 – 1987), der seit den 30er-Jahren für Melitta tätig ist. Ernst orientiert sich bei seinem Kannen-Modell sehr stark an Formen und Farben des Bauhauses. Der konische Kannenkörper, die kurze schnabelförmige Schnaupe und der gerade Henkelansatz gelten damals in Verbindung mit einer Farbgebung der Steingut-Ausführungen in einem Pastell-Blau, -Rosa, und -Gelb als extravagant und hochmodern. Sehr schnell steigt die in verschiedenen Größen im Handel erhältliche Kanne in den 50er-Jahren zu den Verkaufsschlagern aus dem Hause Melitta auf. Die Filterkanne zählt heute zusammen mit den Schnellfiltern von Melitta zu den Designklassikern der Wirtschaftswunderzeit. Aktuell wird sie als „Retroprodukt“ wieder gefertigt.
Parallel zu den Filter-Kannen-Kombinationen für Kaffee kommen 1959 zu den Teefiltern der 400er-Serie passende Kannen auf den Markt. Wie die Kanne für Kaffee ist auch die für Tee mit kurzer Schnaupe und einem aus dem Viereck entwickelten Henkelansatz konstruiert. Die Teekanne wird nur vier Jahre hergestellt; 1963 stellt man deren Produktion ein.
Mit der Einführung des ersten, von Melitta entwickelten Services „Minden“ im Jahr 1956 ist die bis dahin als Einzelkanne oder als FILKA angebotene Kaffeekanne und ab 1959 auch die Teekanne Bestandteil dieser Geschirrserie. Tee- und Kaffeekanne der Serie Minden werden in Porzellan und Steingut produziert. Die Filterkanne aus Steingut kann damals um einen in Material, Form, Größe und Farbe passenden Milchkrug ergänzt werden. Zum Aufstellen auf dem Herd verfügen die aus Steingut gearbeiteten Kannen und Krüge über Hitze beständige Böden. Alle zu „Minden“ gehörenden Serviceteile tragen als Stempel die für diese Geschirrserie stehende Formbezeichnung „1“ auf dem Gefäßboden.
Sowohl die Kaffee- als auch die Teekanne werden in der ersten Hälfte der 60er-Jahre beim Service Minden durch zwei im Ganzen schlankere Kannenmodelle mit längerer, schmalerer Schnaupe und anderen Griffformen ersetzt. Während die Kaffeekanne vermutlich bereits Mitte der 60er-Jahre gegen die ursprüngliche, von Jupp Ernst für das Service „Minden“ entworfene Kanne ausgetauscht wird, bringt es die 1961 am Markt eingeführte Teekanne der zweiten Generation zu einiger Berühmtheit. Mitte der 70er-Jahre schafft der an der Universität Utah forschende Martin Newell nach einer von seiner Ehefrau entliehenen Porzellanteekanne der „Form 1“ eine der ersten dreidimensionalen Computeranimationen. Die als „Utah-Teapot“ bekannte Animation bringt es später zur medialen Aufmerksamkeit unter anderem in der Zeichentrickserie „Die Simpsons“.
Neben den „Klassikern“ von Melitta sind in der Nachkriegszeit für verschiedene Zwecke wie etwa zum Warmhalten am Tisch, für die erste in den 60er-Jahren von Melitta vertriebene Kaffeemaschine oder einfach für den ganz allgemeinen Bedarf weitere Kannenmodelle entwickelt worden.
MEHR ALS FILTER …
DIE 50er-JAHRE
„Die restliche Produktionskapazität soll der Fertigung nur hochwertigen Porzellans dienen, das in formaler und technischer Qualität möglichst die Spitze der Weltmarktproduktion erreichen soll […]. Die Vertragspartner verstehen unter formaler Qualität eine Formgebung, die sich frei von Nachahmung vergangener Stilepochen im Geiste der besten Architektur unserer Zeit vollzieht.“ In: Breuer, Gerda: Jupp Ernst 1905 – 1987. Designer, Grafiker, Pädagoge. Berlin 2007. S.116.
Der hier zitierte Passus aus dem Beratervertrag zwischen dem Eigentümer der Firma Melitta, Horst Benz und seinem Freund, Marketingleiter, Grafiker und Designer Jupp Ernst setzt 1954 Anfang und Anspruch für die neue Keramikherstellung im frisch erworbenen Werk in Varel-Rahling.
Zum bewährten Schnellfilter kommt zunächst die Kaffeekanne Form 0. Als erfolgreiches „Filka“-Duo werden beide bald unentbehrlich für den deutschen Nachkriegs-Haushalt.
Es folgt zur Filterkanne 1956 das passende Kaffeegeschirr „Minden“ in fließend-schlichtem Design mit der Formbezeichnung 1. Melitta setzt mit Form 3 „Friesland“ zunächst weiter auf klassisch weißes Porzellan. Hinzu kommt aber das robustere Steingut für die „Minden“-Linie, das aufgrund geringerer Brenntemperaturen farbige Glasuren ermöglicht. Ein Trend, den Melitta in den Folgejahren mit Erfolg beibehält. Bald erscheinen die „Minden“-Kannen, -Filter und -Gedecke in den legendären Pastelltönen Rosa, Gelb, Hellgrün und Hellblau. Die Farbpalette wird 1959 um Lavagrau ergänzt, das sich im Fond der neuen Form 4 von Jupp Ernst mit dem klangvollen Namen „Ascona“ findet.
Die 60er Jahre
NEOFUNKTIONALISMUS UND SKANDINAVISCHE MODERNE …
DIE 60er-JAHRE
Um dem von Melitta-Marketingleiter Jupp Ernst gefordertem Qualitätsstreben und dem Wunsch nach kollektiver Geschmackserziehung gerecht zu werden, stellt Melitta 1959 mit Lieselotte Kantner eine weitere Designerin in Dienst. Beide Künstler, noch geprägt von den Ideen des Bauhauses und den Werkbundidealen folgend, bringen mit ihren Kreationen in sachlichem Funktionalismus die sogenannte „Gute Form“ auf den deutschen Tisch. Die Gute Form ist nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine moralische Bewertung und bleibt bis weit in die 70er-Jahre ein Dogma im deutschen Design, das Einfachheit, Sachlichkeit und damit zeitlose Gültigkeit vorgibt.
Mit der Reduktion auf einfache geometrische Körper (Kegel, Kugel, Zylinder) bzw. Kurven (Parabel, Hyperbel, Ellipse) für Gefäßformen bzw. Konturen, bleiben Melittas Chef-Designer dieser Forderung weitgehend treu. Das gilt für alle 13 Geschirrkreationen des Jahrzehnts sowohl im Porzellan- als auch im zunehmend prosperierenden Steingutsegment.
Zudem erfasst Kantner mit den Servicen „Stockholm“ (1961) und „Kopenhagen“ (1967) nicht nur dem Namen nach neueste Impulse des modernen skandinavischen Designs mit dem hell-freundlichen Image und solider Handwerkstradition: Direktes Vorbild für ihre Kanne aus der Linie „Oslo“ in Form eines breiten Kegelstumpfs von 1964 dürfte der „Bohus Bersa“-Krug gewesen sein, den der Schwede Stig Lindbergh 1961 für die Firma Gustavsberg in Stockholm entwirft.
Im Gegensatz zur zeitlos-schlichten Formgebung gewinnt nun aber das Dekor nach neuster Mode immer mehr an Bedeutung. Grafiker Jupp Ernst, der u.a. für das Tapetenunternehmen Rasch gestaltet, bringt im Mai 1960 mit „gelben und grauen Schleifen“ für sein Geschirr „Zürich“ erstmals für Melitta ein Dekor aufs Porzellan. Die variablen Muster- und Ornamentvorlagen auf Papier bedienen im massenfähigen Buntdruckverfahren jeden Trend und hüllen die schnörkellosen Gefäßkreationen ins gewünschte moderne Gewand. So verkauft Melitta das 1963 aufgelegte, puristische Porzellangeschirr „Hamburg“ über zwei Dekaden hinweg erfolgreich in 30 verschiedenen Dekoren.
Außerdem experimentiert Melitta im werkseigenen Labor auch zur Oberflächen-Gestaltung der Steingutserien. Die niedrigere Brenntemperatur für das Steingut erlaubt ein breiteres Glasurfarbspektrum, das bald die legendären Pastelltöne der 50er-Jahre zugunsten deutlich farbintensiverer, hochglänzender Glasuren hinter sich lässt. Bis 1969 erweitert sich die Farbpalette für die Serien „Stockholm“, „Bangkok“, „Kopenhagen“, „Amsterdam“ und „Heidelberg“ auf Kobaltblau, Zitronengelb, Schwedischgrün, Englischbraun, Bernstein dunkel, Olivgrün und Azurblau.
Die 70er Jahre
PRODUKTIV MIT NEUEM UND BEWÄHRTEM …
DIE 70er-JAHRE
Trotz Deckung des Nachkriegsersatzbedarfs und Billigimporten aus Fernost gelingt es Melitta um 1970 mit der Entwicklung des Werkstoffes „Ceracron“ einen gewinnbringenden Trend zu setzen. Die robuste Hartsteinzeug-Masse in hell und dunkel ermöglicht durch niedrigere Brenntemperaturen farbintensive Effekt-Glasuren in brillanter Hochglanzoptik, die auch den allgemein aufkommenden Geschirrspülvollautomaten standhalten. Nach dem ersten Geschirr „Amsterdam“ (1968) und „Helsinki“ (1970) werden 1972 sogar die erfolgreichen Steingutlinien, „Heidelberg“, „Stockholm“ und „Kopenhagen“ in Ceracron auf den Markt gebracht.
Weiter erfolgreich bleibt Melitta in den 70ern auf dem Porzellansektor. Mit bewährt puristisch-funktionaler Formgebung, aber modischen Buntdrucken kann Melitta mit weiteren 6 neuen Geschirrlinien den schnelllebigen Trends folgen und jeden Geschmack bedienen. Daneben betreibt man findige Kampagnen mit prominenten Werbeträgern. Zudem steigt Melitta in den großangelegten Versandhandel ein und beliefert neben Gastronomie- und Hotellerie sowohl die renommierten Kataloghäuser Otto und Quelle als auch die großen Kaufhausketten wie Karstadt, Kaufhof und Hertie.
Die 1975 und 1976 aufgelegten Linien „Jeverland“ aus Porzellan und „Ammerland“ aus Ceracron behaupten sich bis heute auf dem Markt und verkörpern die produktivste Dekade der 70er-Jahre.
Die 80er Jahre
VIELFALT STATT FUNKTIONALISMUS …
DIE 80er-JAHRE
Melitta setzt auch im neuen Jahrzehnt auf den Werkstoff Ceracron und die mit „Helsinki“, „Holstein“ und „Ammerland“ begonnene rustikal-robuste Geschirrlinie, welche sich 1984 mit „Bückeburg“ und „Kröning“ 1987 fortsetzt.
Die Abkehr vom Diktat des Funktionalismus zeigt sich bereits Ende der 70er-Jahre mit dem verspielten „Atlantis Jadeborg“ und „Bambus“ mit nachgebildetem, charakteristischem Pflanzenhalm um Tassen- und Tellerrand.
Diese erwachte Lust am vielfältigen Gestalten spiegelt anschaulich die Zahl der wechselnden und neu beauftragten Designer wider. Neben Chefkeramikerin Lieselotte Kantner treten mit Anne Mentzel-Marx, Bodo Mans und Hanns Welling seit 1976 fortlaufend neue, prominente Schöpfer auf den Plan. Mit ihren guten Namen stehen sie für das neue Verkaufscredo der Zeit: Weg vom Image der Massenware, hin zum individuellen Einzelobjekt aus kreativer Künstlerhand.
Den gewünschten Imagewandel versucht man in Minden seit 1982 zusätzlich mit dem erweiterten Firmennamen „Melitta Friesland“ zu erreichen. Paradigmatisch für die neue Freiheit bricht Melitta Friesland auch mit der bisher konsequenten Benennung ihrer Geschirrlinien nach Städten, Ländern und Regionen zugunsten klangvoll-lautmalerischer Namen. Diese setzen verstärkt auf sinnlich-emotionale Assoziationen beim Konsumenten: Nostalgisch historisierend mit Geschirrlinie „Schloss Gödens“ (1982), organisch-gewölbt mit Linie „Mondo“ (1986) oder dekorativ-verschnörkelt mit Service „Carat“ (1989).
Den großen Wurf des Jahrzehnts schafft Designer Lutz Rabold 1984 mit der Serie „Life“. Durch Rückgriff auf die reine Form des Zylinders und den charakteristischen Kannenhenkel in D-Form, der auf den Türgriff Rudolf Wilkes von 1969 anspielt, gelingt Rabold die Übertragung der „Guten Form“ in die zeitgemäße postmoderne Sprache. Diese reine Form scheint über allem spielerischem Stilpluralismus hinweg bis heute zeitlos gültige Klasse zu besitzen – wie die Wiederauflage des Geschirrs im Jahr 2007 unter vielsagendem Namen „Life Revival“ beweist.
1990 - 2007
UMBRUCH UND AUFBRUCH INS NEUE JAHRTAUSEND …
DIE JAHRE 1990 – 2007
Bereits in den 80er-Jahren stellen sich in Varel-Rahling die Weichen auf Veränderung. Mit der 1982 eingeleiteten und 10 Jahre später endgültig vollzogenen Trennung vom Mutterkonzern in Minden agiert „Friesland Porzellan“ seit 1992 nun autonom auf dem Markt.
Mit dem Auftrag an den freien Designer Luigi Colani 1980 zeigt sich, zusammen mit dem Ausscheiden der hauseigenen Designerin Lieselotte Kantner drei Jahre zuvor, die zukünftige marktbestimmende Tendenz: Die für einen Auftrag gewonnenen Designer werden gleichsam zu Machern der Marke. An die Stelle der bisher festangestellten, der traditionellen Linie des Hauses folgenden Keramiker treten immer mehr freie Künstler, welche die individuellen Geschmackswelten bei zunehmender Zielgruppendiversifikation bedienen. „Kinder- und Märchenstadt“ von Heike und Makis Warlamis sind dafür ebenso lebendiger Ausdruck wie die Zierobjekte „Mallusco & Ballena“ der Italiener Michele Gollinelli und Matteo Righi, erschienen Mitte der 90er-Jahre unter dem Motto „Art Frisia“.
Indessen wird das Dogma „form follows function“ mit einst erzieherischem Sendungsbewusstsein gänzlich vom Diktat der Kundennachfrage verdrängt.
Ein Phänomen, das auch die Produktpalette in Varel-Rahling widerspiegelt: Einerseits bedienen die neuen Linien „Soiree“ (1990), „Ecco“ (1994), „Life“ (1997), „Atlantis“ (1997) samt der noch immer produzierten „Mondo“ (1986) und „Carat“ (1989) den extravaganten und dekorativen Kundengeschmack. Andererseits setzt man mit „La Belle“ (1990), „Horizont“ (1994) und den traditionell bewährten Produkten in Ceracron bei Friesland Porzellan weiter auf klare Konturen: So halten sich „Bückeburg“ bis 1992, „Heidelberg“ bis 2005, „Jeverland“ und „Ammerland“ bis heute erfolgreich auf dem Markt. Die 1997 abgesetzte Geschirrserie „Life“ in reiner Zylinderform von Lutz Rabold erscheint 2007 sogar neu unter bezeichnendem Namen „Life Revival“.
Weiteres Indiz für einen auflebenden Retro-Trend zu Beginn des Jahrzehnts ist die Wiederauflage der „Filka“ aus der Serie „Minden“ Form 1 sowie daran anknüpfend freilich auch Entwicklung und Erfolg des bunten Alltagsgeschirrs „Happy-Mix“ aus Ceracron, dessen Farbspektrum sich aufgrund der Kundenbeliebtheit bis zum Jahr 2010 fortlaufend erweitert.
RUND UM DEN GEDECKTEN TISCH – DESIGNOBJEKTE, GESCHENKIDEEN UND OPTIONALES ZUBEHÖR DER FIRMEN MELITTA UND FRIESLAND PORZELLAN IM SCHLOSSMUSEUM JEVER
Seit über sechzig Jahren erfüllen und wecken die Firmen Melitta und Friesland Porzellan mit ihren keramischen Produkten Kundenwünsche. Bereits das erste, 1956 am Markt eingeführte Kaffeeservice „Minden“ kann die damals vor allem weibliche Kundin etwa mit Eierbechern, mit Dosen für Marmelade und Butter oder Platten verschiedener Größe zu einem Frühstücksservice erweitern. Im Laufe der 60er-Jahre nimmt die Zahl des sogenannten „optionalen Zubehörs“ mit der Einführung des aus Kaffee- und Speiseservice bestehenden Kombigeschirres stetig zu. Das klassische Speiseservice lässt sich nun mit Schüsseln, Suppentassen, Suppenterrinen, Saucieren individuell ergänzen. Zur Form und Farbe der jeweiligen Geschirrserie passend bietet man ebenfalls seit den 60er-Jahren Vasen und Kerzenleuchter an.
Das erweiterte Sortiment der beiden Firmen ist über die Jahrzehnte hinweg stets auch Spiegelbild des jeweils herrschenden Zeitgeistes und -geschmacks. So erinnern Anfang der 60er-Jahre idyllische Landschafts- und Stadtmotive auf Saftkrügen und -Bechern an Italien, das deutsche Traumreiseland der Wirtschaftswunderzeit. Zur gleichen Zeit reagiert man auf die steigenden Absatzzahlen von Fernsehgeräten und damit auf die veränderten Lebensgewohnheiten der Bundesbürger*innen mit modischen Porzellanschälchen, auf denen Snacks zum heimischen Fernsehabend gereicht werden sollen.
Ein Hauch von Exotik bringt die Firma Melitta in den 60er-Jahren in die Haushalte etwa mit dem Teeservice „Bangkok“ oder am Ende des Jahrzehnts mit Tellern für das damals als kulinarisch extravagant geltende Fleischfondue. Die Fondueteller mit ihren strahlenförmigen Einteilungen unter anderem für Saucen, Dips und Fleischhäppchen sind sowohl in gedeckten als auch in poppigen Farben erhältlich und können individuell um umfangreiches Zubehör wie Essig- und Ölflaschen, Stielschälchen und Schalen in verschiedenen Größen und Farben ergänzt werden.
Nach der 1964 erfolgten Übernahme der August Blase AG, einem Zigarrenhersteller aus Lübeck, gibt es für den „kultivierten Tabakgenuss“ – vor allem für den Herrn nach der Kaffeerunde gedacht – für etwa zwanzig Jahre lang Rauchsets. Als Zubehör einer Geschirrserie bestehen die Rauchersets in der Regel aus einem Tablett, einem Aschenbecher für Zigarren und Zigaretten, einer Tabakdose und zur Abrundung der „Wohlfühl-Atmosphäre“ aus einem Kerzenleuchter.
Hochwertige Geschenkideen aus Keramik stellt die Firma Friesland Porzellan in den 90er-Jahren her und kommt damit dem sich immer stärker in der Branche abzeichnenden Trend nach, ein exklusives, von Künstlerhand geschaffenes Sortiment an Objekten aus Porzellan und Steingut anzubieten. Namhafte Designer wie Heide und Makis Warlamis oder die Designer Michele Golinelli und Matteo Righi entwerfen für das „Art-Friesland-Programm“ beispielsweise Deckeldosen, Eierbecher, Kerzenleuchter, Flaschen und Vasen, die als Designobjekte zum damaligen Zeitpunkt sowohl in ihrer Form- als auch Farbgebung außergewöhnlich sind.
Der Massenbedarf an Gebrauchsgeschirr nach dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung mit dem geforderten Qualitätsanspruch bedeuten große Herausforderungen für den industriellen Herstellungsprozess im neuen Melitta-Zweigwerk: Möglichst hohe Stückzahlen bei möglichst niedrigen Produktionskosten. Im Keramiksektor gilt das sowohl für die Optimierung der Brenntechnik und der Formgebungsverfahren als auch für die der Arbeitsgänge zur Oberflächendekoration (Bemalen, Glasieren, Buntdruckverfahren).
Um das erhöhte Auftragsvolumen zu bewältigen, realisiert man in der friesischen Keramik-Fabrik u.a. ein Versuchslabor. Dort können beispielsweise Glasuren auf ihre Fließfähigkeit bzw. Farbechtheit und Materialien auf Schlagzähigkeit geprüft werden.
Daneben installiert man insgesamt 5 Tunnelöfen auf einer 80m langen Brennstrecke in entsprechenden Werkshallen. Davon dienten zwei dem Porzellan-Glattbrand, in den übrigen wurden die Rohlinge aus Steingut und Ceracron gebrannt. Heute sind die ehemals strombetriebenen, dauerbeheizten Tunnelöfen der 60er-Jahre aus energetischen Gründen durch gasbetriebene, bedarfsgesteuerte Kammeröfen ersetzt.
Den verschiedenen Werkstoffen samt der Vielzahl der zu produzierenden Geschirrartikel entsprechen notwendigerweise spezifisch differierende Prozesse zur Formgebung (Guss-, Press- und Drehverfahren).
Zur schmückenden Oberflächengestaltung verbessert bzw. erweitert man die Palette des traditionellen Buntdruckverfahrens und entwickelt innovative Glasurtechniken, die in Versuchsreihen beurteilt werden. Die daraus hervorgehenden tauglichen Musterstücke schickt man anschließend meist zur Genehmigung ins Hauptwerk nach Minden.
Geformt
FORMGEBUNGSVERFAHREN
Allen Dreh-, Guss- oder Pressverfahren zur seriellen Fabrikation von Gebrauchskeramik gemein ist das aufwendige Modellieren einer Art „Abformschablone“ nach einem zeichnerischen Entwurf. Bei Melitta-Friesland wird der Entwurf dem Qualitätsanspruch gemäß von ausgewiesenen Designern geliefert.
Mit der durch den Modelleur angefertigten, beständigen „Form“ können in Abhängigkeit vom Material große Stückzahlen identischer Produkte erzielt werden. So liefern moderne Kunststoff-Abgussformen nahezu das Tausendfache der traditionellen Gipsform, die immerhin 70 bis 80 Ausformvorgänge zulässt.
Nach Herstellung der keramischen Ausgangsmasse aus Kaolin, Feldspat und Quarz bestimmt nun allein Art und Gestalt des anzufertigenden Geschirrartikels das entsprechende Formgebungsverfahren.
Mittels differenziertem Feuchtigkeitsentzugs bzw. notwendiger Materialzuschläge werden aus dem sogenannten „Masseschlicker“ die jeweiligen Arbeitsmassen für die drehende, gießende oder pressende Formgebung:
Die „Drehmasse“ mit geringem Wasseranteil für rotationssymmetrische Artikel wird durch „drehendes Einformen“ zu Tassen oder Schüsseln und durch Überformen zu Tellern oder Platten.
Die flüssigere „Gussmasse“ für asymmetrische Artikel wird in Gipsformen mit Hohlräumen zu Kannen, Gießern, Zuckerdosen, Tassenhenkeln oder Deckeln.
Während des anschließenden ersten Trocknungsvorgangs schwindet der „Formling“ und kann dann im lederharten Zustand der Form entnommen werden. Die modernere, pulverisierte, „sprühgetrocknete Pressmasse“ wird in Kunststoffformen mit Druckluft und Pressen zu flachen Platten oder Tellern. Das sogenannte „Pressverfahren“ vervielfacht ab dem Jahr 2000 auch bei Friesland Porzellan in Varel-Rahling die Stückzahlen für die „Flachware“ (Teller und Platten).
Das Verfahren mit dem automatischen Schließen und Öffnen der Abgussform im 20-Sekunden-Takt bedingt notwendigerweise den Verzicht auf komplexere Formen mit feinen Kanten, Wülsten und Hinterschneidungen. Die optimierte Technik beeinflusst deshalb zwingend auch die Gestaltung von Tellern und Patten und damit der gesamten Geschirrserie.
Nach dem Ausformen folgt das „Garnieren“, beispielsweise das Ansetzen von Henkeln. Anschließend trocknet der Formling bis zu einer sehr geringen Restfeuchte und ist bereit zum letzten Nacharbeiten: Dem „Verputzen“ von Gießnähten oder „Rändern“ und dem „Verschwämmen“ von rauen Stellen.
Glasiert
GLASIEREN
Zu den Arbeitsprozessen bei der Geschirr-Herstellung gehört auch das Glasieren der Objekte. Die verwendeten Glasuren sind dünne, glasartige Schichten, die den Scherben wasserundurchlässig machen und ihn gegen chemische und mechanische Einflüsse von außen schützen. Gleichzeitig verbessern die Glasuren die Haptik der Geschirre und können darüber hinaus farbunterstützend und formgebend sein.
Glasuren bestehen aus den drei Hauptbestandteilen Siliziumoxid (Quarz), einem Flussmittel und einem Stabilisator. Das Siliziumoxid bildet Glas, das Flussmittel setzt den Schmelzpunkt des Siliziumoxids herab, und der Stabilisator verhindert das Ablaufen der Glasur von der Tonoberfläche während des Brenn- bzw. Schmelzvorgangs. Von Natur aus sind alle Glasuren als glasartige Schichten transparent. Erst durch das Einfärben vor allem mit Metalloxiden entstehen matte oder hochglänzende Glasuren, die die Farbe des darunter liegenden Scherbens zum Teil oder ganz verdecken.
Mit was und wie glasiert, wird, ist dabei abhängig vom Material des Ausgangsproduktes. Zum Sortiment der Firmen Melitta und Friesland Porzellan gehören in den über sechzig Jahren seit Bestehen des Standortes Varel-Rahling sowohl Gebrauchsgeschirre aus Porzellan, aus Steingut und aus dem im Hause Melitta entwickelten Ceracron. Aktuell produziert die Firma Friesland Porzellan neben Gebrauchsgeschirren aus Porzellan ausschließlich solche aus Ceracron.
Bei Ceracron handelt es sich um ein spezielles Steingut, in dem sowohl Materialien aus der Steingut- als auch der Porzellanherstellung miteinander kombiniert werden. Mit dem Porzellan verbindet das Ceracron die Festigkeit seines Scherbens und die geringe Haarriss-Bildung bei den Glasuren. Wie Steingut wird Ceracron bei geringerer Temperatur als Porzellan gebrannt, wodurch eine breitere Palette vor allem von Farb-Glasuren möglich ist.
Das Auftragen des in Wasser aufgelösten farbigen Glasurpulvers gehört bei den Objekten aus Ceracron zu den außerordentlich aufwendigen, mit Hand ausgeführten Tätigkeiten. So werden beispielsweise bei dem seit 1981 produzierten „Ammerland-Blue“ drei Glasuren verwendet. Dazu wird zunächst eine Glasur in die Innenfläche des Objektes eingegossen und anschließend die Außenwandung des Objektes in eine zweite Glasur getaucht. Es folgt eine Reinigung der Kanten und Standflächen von Glasurresten. Schließlich schützt man die Kante mit einer transparenten Glasur. Nach dem Brennen des Objektes scheint dort, wo die transparente Glasur mit dem Scherben verbunden ist, das Ceracron durch.
Im Gegensatz zu den transparenten Glasuren auf den Porzellanscherben, die dort vor allem die Weiße des Scherbens betonen, unterstreichen die buntfarbigen Glasuren auf den Steingut- und Ceracron-Geschirren deren Form. Sie sind hochglänzende oder matte Farbkörper, die zusätzlich durch das Zusetzen von Effekte hervorbringenden Materialien an Farbspiel und damit an Lebendigkeit gewinnen. Solche Glasuren werden als „Effekt-Glasuren“ bezeichnet. Die beim Service Ammerland Blue verwendete Effekt-Glasur besteht nach dem Brand aus einem blauen Farbkörper, der durch unregelmäßig angeordnete, helle und dunkle „Farbpunkte“ belebt wirkt.
Wegen der Farbpalette und deren Farbbrillanz geschätzt produziert die Firma Melitta ab Ende der 60er-Jahre Geschirre mit teuren und schwer herzustellenden Selen-Glasuren. Um die bei Steingut-Geschirren beobachtete Haarrissigkeit der Selen-Glasuren zu verhindern, entwickelt die Firma Melitta ein neues Steingut, das so genannte „Ceracron-Selen”. In „Selen-Rot“ und in „Selen-Orange“ werden in den 70er-Jahren die Serien „Ceylon“, „Heidelberg“, „Kopenhagen“ und auch „Stockholm“ im Handel angeboten. Mit Ausnahme des Geschirrs Heidelberg, das noch bis 1992 in Selen-Rot erhältlich ist, stellt man die Produktion der anderen, mit Selen-Glasuren versehenen Serien in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre ein.
Da es sich bei Ceracron und Porzellan um Produkte aus Ton handelt, ist deren Herstellungsverfahren ähnlich bzw. identisch. Bei der Firma Friesland Porzellan werden beide Materialien einem ersten Brand, dem so genannten „Schrüh- oder Glühbrand“ unterzogen. Während des Glühbrandes wandelt sich der Ton zu einem festen Scherben bei Temperaturen von 860 Grad Celsius oder 950 Grad Celsius um. Es folgt beim Porzellan das Glasieren durch maschinelles oder manuelles Tauchen bzw. durch Besprühen des Objektes. Danach findet bei beiden Materialien der „Glasur-oder Glattbrand“ statt, bei dem sich die Glasuren verflüssigen und eine Verbindung mit dem Scherben eingehen. Während Porzellane bei rund 1400 Grad Celsius gebrannt werden, reicht beim Ceracron eine Temperatur von 1080 Grad Celsius aus. In einem weiteren Schritt dekoriert man die Porzellane: Kannen und Filter bekommen eine mittels Spritzpistole aufgetragene Farbe und auf die später mit einem Dekor versehenen Objekte werden Dekordrucke auf den Scherben aufgebracht, die während des nun letzten Brandes, dem „Dekorbrand“ als Farbpartikel in die Glasur einsinken.
Bemalt / Bedruckt
BEMALUNG UND BUNTDRUCKVERFAHREN
Bei der traditionell-bewährten Porzellandekoration mit Unterglasurmalerei bemalt man den rohen, ungebrannten Scherben mit einem Pigment-Glyzerin-Farbgemisch. Erst dann wird die Transparentglasur auf den Artikel aufgebracht. Bei 1400°C bleiben die Farben unter der hochglänzenden Transparentglasur auf dem weißen Scherben haltbar. Die erforderliche hohe Brenntemperatur für das Porzellan beschränkte die mögliche Farbskala lange Zeit auf Grün und Blau (vgl. Blauweißmalereien der Manufakturen Meißen, Royal Kopenhagen usw.)
Seit dem 18. Jh. arbeiten die Porzellanmanufakturen in der Dekoration des Porzellans auch mit aufwendigen und vielfarbigen Ornamentvorlagen auf Papier. Solche Dekore lassen sich harmonisch auf jede keramische Form anwenden und wurden von Melitta Friesland allein für die Geschirrserie „Jeverland“ in 78 Varianten angefertigt. Die kreativen grafischen Entwürfe können im Druckverfahren beliebig vervielfältigt werden und eignen sich daher besonders für die serielle Keramikproduktion.
Dabei ist die pigmentierte Zeichnung in eine temperaturempfindliche „Lackmaske“ eingebunden und wird zur Dekoration des Artikels in befeuchtetem Zustand auf das gebrannte und bereits glasierte Porzellan aufgelegt.
Während des darauffolgenden achtstündigen „Dekorbrands“ verschwindet bei ca. 800° zunächst die gelbliche Lackschicht. Bei etwa 1000° sinken dann die Farbpigmente in die Glasuroberfläche ein. Nach Abschalten des Ofens zieht sich – über dem Druckdekor – die Glasur wieder zusammen. Das Dekor befindet sich also in der Glasur, sodass sich die Bezeichnung „Inglasur- Dekor“ anschaulich erklärt.
Beim „Aufglasur-Verfahren“ wird lediglich auf 850° – 870° erhitzt, sodass die Lackschicht verschwindet und die Glasur sich gleichsam von unten an das Dekor anlegt und sich mit ihr verbindet. Der Ornamentdruck erscheint in der glänzenden Oberfläche also leicht erhaben und rau.
Für die Steingut- bzw. Ceracron-Geschirrserie „Stockholm“, mit Dekor „Kornblume“ kombiniert Melitta-Friesland auch beide Verfahren „Bemalung“ und „Buntdruck“. Bis etwa 1980 können sogar eigene Vorlagen (bis zu 4 Farben) für die Schiebebilder entworfen und in der firmeneigenen Siebdruckerei hergestellt werden. Die Fülle der vielgestaltigen modischen Dekore für Melitta-Friesland bedienen jedoch hauptsächlich Zulieferdruckereien, die bis in die 90er-Jahre regelmäßig ihre aktuellen Dekorkollektionen anbieten.
Quellen- und Literaturverzeichnis:
Auskünfte, Akten und Firmenunterlagen vor Ort bei der Firma Friesland Porzellanfabrik GmbH & Co. KG in Varel-Rahling.
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Zentralstelle für Berufsbildung des Ministeriums für Glas und Keramikindustrie, Ilmenau. 3. Unveränderte Auflage. Leipzig 1990.
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