Ausschnitt aus: Johann Dieter Konigshaven [Königshaven] (gest. 1728), Dynastiae Ieveranae […] Exactissima Delineatio, ca. 1:80.000, kolorierte Handzeichnung, 53×61 cm, um 1725. Inv.-Nr. 12085 (Ka 92)
Landkarten und Pläne aus der Bibliothek des Schlossmuseums
Der heutige Bestand der Schlossbibliothek an Landkarten und Plänen umfasst viele ansehnliche Objekte besonders zur näheren Umgebung Jevers. Gleichwohl kann nicht von einer umfangreichen Spezialsammlung gesprochen werden, zumal im Laufe der Zeit manch wertvolles Stück aus administrativen oder konservatorischen Gründen an das Staatsarchiv in Oldenburg abgegeben werden musste. Die Schlossbibliothek versucht jedenfalls, die Kartographie des Jeverlandes bzw. der gesamten ostfriesischen Halbinsel (zwischen Ems und Weser) von ihren Anfängen im 16. Jahrhundert zumindest an einigen ausgewählten Stücken zu dokumentieren, wobei für die frühe Zeit bisher freilich oft nur Reproduktionen vorliegen.
»» Beispiele:
1. Laurentius Michaelis (gest. 1584), Oldenburg Comit.[atus];
2. David Fabricius (1564-1617), Oostfrieslandt (Original: Kupferstich, 1613)
1. Die Landkarte von Laurentius Michaelis (gest. 1584), dem Sekretär des Fräulein Maria von Jever (1500-75), gilt nicht nur als die älteste gedruckte Karte der Grafschaft Oldenburg, sondern sie ist auch das älteste Original im Bestand der Schlossbibliothek.
Neben Einzeldrucken wie dem vorliegenden wurde Laurentius‘ Karte in seinem Todesjahr 1584 in dem Epoche machenden Werk “Theatrum Orbis Terrarum” des Abraham Ortelius (1527-98) veröffentlicht, das seit 1570 in zahlreichen Ausgaben erschien und ganz am Anfang der Gattung Atlas steht, noch bevor Gerhard Mercator (1512-94) diesen Begriff 1585 erstmals für ein einheitliches, in Buchform gebrachtes Kartenwerk benutzte.
Seit dem Tod des Fräulein Maria gehörte das bis dahin selbständige Jeverland entsprechend ihrer testamentarischen Verfügung zum Haus Oldenburg.
Laurentius Michaelis (gest. 1584), Oldenburg Comit.[atus], ca. 1:350.000, kolorierter Kupferstich, 33×45 cm, 1584. Inv.-Nr. 12080 (Ka 477)
2. Von der sehr frühen Ostfrieslandkarte des bedeutenden ostfriesischen Astronomen David Fabricius (1564-1617) aus Esens, der als Pastor in Aurich, Resterhafe und Osteel wirkte, besitzt die Schlossbibliothek mehrere moderne Reproduktionen. Ausweislich der Textfelder in der Karte lag eine erste Fassung bereits 1592 vor, die jedoch nicht überliefert ist. Nur von der zweiten Fassung aus dem Jahre 1613, die dem ostfriesischen Grafen Enno III. (reg. 1599-1625) gewidmet war, haben sich einige wenige Originale erhalten.
Der Einrahmungstext der Stadtansicht von Emden am unteren Kartenrand läßt vermuten, dass die sog. “Emder Revolution” von 1595, in der sich die Stadt weitgehend von der Grafschaft löste, der Grund für den Untergang der ersten Fassung gewesen ist. Jedenfalls ist dieser Text als Aufruf zur Eintracht zu verstehen, während sich Fabricius in der Widmungskartusche “untertänigst” zu seinem “höchst milden Herren” Enno von Ostfriesland bekennt.
David Fabricius (1564-1617), Oostfrieslandt (Original: Kupferstich, 1613), ca. 1:270.000, Reproduktion, 41×37 cm, 20. Jh. Inv.-Nr. 12082 (Ka 224b)
Politische und administrative Grenzen des Jeverlandes
Landkarten eignen sich hervorragend, um Kontinuität und Wandel in den politisch-administrativen Strukturen anschaulich zu machen. So schlagen sich die Grenzziehungen und Herrschaftswechsel des Jeverlandes in zahlreichen Karten der Schlossbibliothek nieder.
»» Beispiele:
1. Renke Gerhard Kunstenbach (1745-1807), Special Charte der Russisch Kayserl.[ichen] Erbherrschaft Jever […];
2. Georg S.O. Lasius (1752-1833) u. Gerhard Anton von Halem (1752-1819), Carte du Département des Bouches du Weser;
3. Augustinus Fuchs (?-?) u. Anton Friedrich Redhas (?-?), Carte von der Gräntz-Linie zwischen dem Amte Wittmund und Jever-Land
1. 1793, nach dem Tode des letzten erbberechtigten Fürsten von Anhalt-Zerbst, kommt das Jeverland unter russische Herrschaft. Diesen Zustand zeigt die akribische Handzeichnung, die durch Flächenfärbung die Verwaltungsgliederung innerhalb des Territoriums deutlich macht. An den Außengrenzen wird besonders auf die berühmte “Goldene Linie” von 1666 (als Grenzvereinbarung zwischen dem Jeverland und Ostfriesland an der Nordküste) sowie auf die 1727 geregelte Grenzziehung im Bereich des westlichen Jadebusens hingewiesen.
Doch weit über den politischen Inhalt hinaus gibt die Karte noch viele andere Auskünfte, so z.B. über die Wassertiefen der Jade oder über das wichtige kartographische Grunddatum des Nullmeridians. Dieser Anfangspunkt der Längengradzählung war seinerzeit noch nicht allgemein auf Greenwich festgelegt, sondern wurde, wie in der Kartenlegende ausdrücklich vermerkt, häufig auf die „Insel del Ferro“ (Hierro, westlichste Insel der Kanaren) bezogen. Als Linien sind aber auch die Meridiane des “Jeverischen Schloss Thurmes” und des “Oldenburgischen Observatorii” (Observatoriums) eingezeichnet.
Renke Gerhard Kunstenbach (1745-1807), Special Charte der Russisch Kayserl.[ichen] Erbherrschaft Jever […];
2. “Département Wesermündung”: Von 1811 bis zur Niederlage Napoléons 1813/14 waren die Kanal- und Nordseeküste sowie ein kleines Stück der deutschen Ostseeküste nebst umfangreichem Hinterland von Frankreich annektiert. Innerhalb kürzester Zeit erfolgte eine sehr genaue kartographische Aufnahme der eingegliederten Gebiete. Die Modernität der Karte kommt in der Angabe eines numerischer Maßstabes (1:200.000) zum Ausdruck; statt auf diese uns heute selbstverständlich erscheinenden Weise brachten die meisten Karten damals Maßstäbe nur in grafischer Form zur Anschauung.
Georg S.O. Lasius (1752-1833) u. Gerhard Anton von Halem (1752-1819), Carte du Département des Bouches du Weser;
3. Viele Karten verdanken ihre Entstehung der genauen Bestimmung eines Grenzverlaufs und werden daher als “Grenzkarten” bezeichnet. Ein besonders anschauliches Beispiel ist die fast zwei Meter breite “Carte von der Gräntz-Linie zwischen dem Amte Wittmund und Jever-Land”, die 1745 vermessen wurde; eine entsprechende Vorlage führte dann im darauffolgenden Jahr zu der vorliegenden (natürlich handgefertigten) Kopie. Um hohe Genauigkeit zu erzielen, ist die Karte sehr großmaßstäbig angelegt und verzeichnet dementsprechend auch kleine Details, sofern sie für die Grenzbestimmung für wichtig gehalten werden.
Die lange Nord-Süd-Grenzlinie erscheint hier im Querformat, so dass die Karte annähernd gewestet ist (Westen oben, Norden rechts). Das ungewöhnliche Großformat erforderte die Verwendung mehrerer Papierbahnen. Möglicherweise fehlen am rechten Rand, wo die Karte abweichend von den drei anderen Seiten nicht durch einen Rahmen begrenzt ist, ein oder mehrere Papierbahnen.
Augustinus Fuchs (?-?) u. Anton Friedrich Redhas (?-?), Carte von der Gräntz-Linie zwischen dem Amte Wittmund und Jever-Land
Verschwundene Inseln, gewonnenes Land
Die Küstenlandschaft im ostfriesischen Raum hat sich durch die Jahrhunderte dramatisch verändert. Dem ständigen Angriff des Meeres mit seinen oft katastrophalen Sturmfluten setzte der Mensch immer erfolgreichere Maßnahmen zum Schutz der Küste und zur Rückgewinnung untergegangenen Landes entgegen. Besonders an der jeverländischen Nordküste, wo im Mittelalter ein tiefer Einbruch der Nordsee die weit ins Binnenland einschneidende Harlebucht geschaffen hatte, wurde später Deichlinie für Deichlinie das Meer nach Norden zurückgedrängt. Dieser Prozess läßt sich auf historischen Landkarten hervorragend verfolgen. Sie geben umgekehrt aber auch Aufschluss über einige Inseln, die mittlerweile unwiederbringlich im Meer versunken sind.
»» Beispiele:
1. Johann Dieter Konigshaven [Königshaven] (gest. 1728), Dynastiae Ieveranae […] Exactissima Delineatio;
2. Ehrenreich Gerhard Coldewey (1702-73), Tabula Frisiae Orientalis (mit Stadtgrundrissen von Emden u. Aurich)
1. Auf dieser handgezeichneten Karte werden die naturräumliche Gliederung der Küste sowie die Landgewinnung durch “Teiche” (Deiche) mittels entsprechender Kolorierung sehr anschaulich gemacht. Bei Ebbe trockenfallende Sände sind gelb, noch uneingedeichtes Neuland (offene Groden) grün, die Deiche grau-blau eingezeichnet. Besonders eindrucksvoll ist die weit binnenlands liegende, bei Rüstersiel beginnende alte Deichlinie (dunkelgrün).
Doch während der 1728 gestorbene Minsener Pastor Königshaven an der Nordküste natürlich weder das erst 1730 gegründete Carolinensiel, geschweige denn den heutigen, durch weitere Eindeichungen gewonnenen Küstenort Harlesiel verzeichnen kann, bewahrt er andererseits die mittlerweile im Jadebusen untergegangenen Inseln, von denen heute nur der Name Arn(e)gast durch den dortigen Leuchtturm noch fortbesteht, vor dem Vergessen.
Johann Dieter Konigshaven [Königshaven] (gest. 1728), Dynastiae Ieveranae […] Exactissima Delineatio, ca. 1:80.000, kolorierte Handzeichnung, 53×61 cm, um 1725. Inv.-Nr. 12085 (Ka 92)
2. Dieser Kupferstich von 1730 meldet neben vielen anderen Details “neuen Anwachs” (= Groden, verwandt mit englisch “to grow” = wachsen) auf dem Festland gegenüber der Insel Spiekeroog. Im Gebiet des Dollart, rund um den Jadebusen sowie an der jeverländischen Nordküste sind die Eindeichungsfortschritte verzeichnet, die im Laufe des 17. und im frühen 18. Jahrhundert erzielt wurden. Der Kartograph, Ehrenreich Gerhard Coldewey (1702-73), zugleich Archivar des Fürstentums Ostfriesland, kennt auch bereits den neuen Hafenort Carolinensiel an der östlichen Nordküste, der just im Entstehungsjahr dieser Karte gegründet worden war.
Ehrenreich Gerhard Coldewey (1702-73), Tabula Frisiae Orientalis (mit Stadtgrundrissen von Emden u. Aurich), ca. 1:200.000, kolorierter Kupferstich, 58×51 cm, 1730. Inv.-Nr. 12221 (Ka 225b)
Von den Karten und ihren Arten
In der Zeit vor den präzisen Vermessungstechniken, wie sie Ende des 18. Jahrhunderts in Gebrauch kamen, bleiben Landkarten oft sehr ungenau. Andererseits bieten gerade diese Stücke in ihrem Erscheinungsbild häufig einen hohen ästhetischen Reiz, den wir von heutigen Karten nicht erwarten dürfen. Grundsätzlich kann man zwischen handgezeichneten und „gedruckten“ Karten unterscheiden, wobei die Art des „Druckens“ sehr vielfältig sein kann (Holzschnitt, Kupferstich, Vierfarbdruck, uvm.); werden historische Karten mit modernen Verfahren vervielfältigt, spricht man von Reproduktion. Lange vor der Entwicklung des Farbdruckes versahen Kartenmacher ihre gedruckten Karten schon per Hand mit Farben.
»» Beispiele:
1. Christian Martin Anhalt, Delineatio der Hochgraefl.[ichen] Aldenburgische[n] Vorwerks Landereyen zu Garmes […];
2. Johannes Janssonius (1588-1664), Oldenburg Comitatus
1. Diese großmaßstäbige Aufnahme des Garmser Vorwerks, nördlich von Jever zwischen den Orten Altgarmssiel und Neugarmssiel gelegen, gehört zu den ältesten und schönsten handgezeichneten Karten der Schlossbibliothek. Wie so oft bei alten Karten wird die heutzutage vertraute Anordnung der Himmelsrichtungen durchbrochen, d.h. die Karte ist nicht “genordet” (Norden = oben), sondern in diesem Falle annähernd “gesüdet”. Obwohl das umfangreiche Grundstücksverzeichnis die Arbeit klar als Verwaltungskarte ausweist, hat der Zeichner sich doch große Mühe bei der Ausschmückung der Karte gegeben. Mehr Informationen zu und Bilder von dieser Karte sind in der Rubrik “Kaleidoskop” verfügbar.
Christian Martin Anhalt, Delineatio der Hochgraefl.[ichen] Aldenburgische[n] Vorwerks Landereyen zu Garmes […], ca. 1:9.000, kolorierte Handzeichnung, 58×45 cm, 1685. Inv.-Nr. 12091 (Ka 131)
2. Gedruckte Einzelkarten sind schon in der Zeit der Früh- oder Wiegendrucke (“Inkunabeln”: Drucke bis einschließlich 1500) hergestellt worden; knapp 150 Jahre später, im frühen 17. Jahrhundert, steht bereits die Herstellung ganzer Kartenwerke in Blüte, vor allem in den Niederlanden. Die Werkstatt (officina) des Karten-Druckers und -Verlegers Johannes Janssonius (1588-1664) in Amsterdam war berühmt für die Herstellung von Atlanten. Viele davon wurden später wieder in Einzelblätter aufgelöst, so auch das hier gezeigte Stück aus dem 1641/42 in französischer Sprache herausgegebenen zweiten Band des “Nouveau Theatre du Monde ou Nouvel Atlas”, das auf seiner Vorderseite die Karte der Grafschaft Oldenburg, auf der Rückseite den dazugehörigen landeskundlichen Text enthält.
Johannes Janssonius (1588-1664), Oldenburg Comitatus, ca. 1:210.000, Kupferstich, 49×38 cm, 1641/42. Inv.-Nr. 12083 (Ka 204 )
Jever – vermessene Stadt
Topographische Aufnahmen der Stadt Jever blieben lange Zeit seltene Einzelstücke, die nur zu besonderen Anlässen hergestellt wurden. Beginnend mit dem Jahre 1741 verfügt die Schlossbibliothek für das 18. und 19. Jahrhundert nur über eine kleine Zahl an Stadtgrundrissen bzw. -plänen; dichter wird die Überlieferung Ende des 19. Jahrhunderts, als die Kartenproduktion amtlicherseits und auf dem freien Markt stark zunahm. Erst im 20. Jahrhundert werden Stadtpläne und Umlandkarten zur ständig aktualisierten Massenware, die dennoch sorgfältig dokumentiert werden muss.
»» Beispiele:
1. N.N., Grundriß der Vestung und der Stadt Jever;
2. E. C. Dunker (?-?), Charte der Gegend um Iever
1. Dieser Plan aus der Spätzeit der Anhalt-Zerbster Herrschaft (1667-1793) bietet wertvollste Informationen über das historische Stadtbild Jevers, wirft aber zugleich zahlreiche Fragen auf. Da die Handzeichnung nicht fertiggestellt wurde – das für eine aufwendige Kartusche vorgesehene Titelfeld rechts oben wurde offensichtlich erst nachträglich behelfsweise beschriftet – sind weder Datum noch Verfasser genannt. Am linken unteren Kartenrand befindet sich in drei ungleich hohen Kolumnen eine Legende (“Renvoi”) mit 89 Verweiszahlen auf entsprechende Stellen im Plan. Eine Reihe kleinerer Fehler legt den Schluss nahe, dass der Verfasser das Exemplar als Ausschuss aufgegeben hatte. Mindestens zwei weitere Hände haben später nochmals Eintragungen vorgenommen. Anhand des städtebaulichen Zustandes läßt sich die anonyme “erste Hand” auf den Zeitraum 1769 bis 1786 eingrenzen.
N.N., Grundriß der Vestung und der Stadt Jever, ca. 1:2.000, kolorierte Handzeichnung, 64×61 cm, ca. 1769-86. Inv.-Nr. 12086 (Ka 2,2)
2. Die sorgfältige Reinzeichnung macht auch die Umgebungskarte aus der Hand des biographisch kaum fassbaren Jeveraner Malers E. C. Dunker zu einem Schmuckstück der Sammlung. Sie zeigt den Stand von 1828, als Jever (über das Hookstief) noch einen (Binnen-)Hafen besaß, der erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgegeben wurde.
E. C. Dunker (?-?), Charte der Gegend um Iever, ca. 1:30.000, kolorierte Handzeichnung, 51×39 cm, 1828. Inv.-Nr. 12095 (Ka 5)
E. C. Dunker (?-?), Charte der Gegend um Iever, ca. 1:30.000, kolorierte Handzeichnung, 51×39 cm, 1828. Inv.-Nr. 12095 (Ka 5)
Dr. Ralf Fritze
© Schlossmuseum Jever