Einführung
Das Schlossmuseum Jever verfügt mit ca. 1800 Objekten über eine umfangreiche Sammlung an Kleidung, Accessoires und anderen textilen Objekten aus der Region aus dem 18. bis zum 20. Jahrhundert: Frauen-, Männer- und Kinderkleidung, Fest- und Alltagskleidung, Fächer, Schirme, Hauben, Wäsche, Accessoires und Schmuck. Bereits der 1886 gegründete Altertumsverein legte bei seiner Sammlungstätigkeit einen Schwerpunkt auf Kleidung.
Die Sammlung veranschaulicht die regional-geschichtliche Entwicklung sowie modisches Bewusstsein und ästhetisches Empfinden der Jeverländer, die sich am Puls der Zeit orientierten. Von Rokoko, Empire und Biedermeier über Zweites Rokoko und Tournüre bis zur Reformmode, Mode der 1920er Jahre und der Nachkriegszeit lassen sich die Modeströmungen in der Sammlung wiederfinden. Dabei überwiegt die weibliche Festtagskleidung, da sie am ehesten aufbewahrt wurde. Die Alltagskleidung dagegen ist, wie auch Männerkleidung und Uniformen, nicht in die Sammlung gekommen.
Als non-verbales und visuelles Kommunikationsmittel stellt Kleidung eine Möglichkeit dar, ein Statement im öffentlichem Raum zu setzen. Denn sie ist unmittelbar mit der Person verknüpft und kann je nach Epoche und Zeit als ein Ausdruck für sozialen Status, Stand, Reichtum, Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe, Faible für etwas, Weltanschauung gelten.
Textilien zählen zu den attraktivsten, aber auch zu den problematischeren Sammlungsgebieten eines Museums. Eine dauerhafte Präsentation kann den lichtempfindlichen Textilien Schaden, da sie besonderer konservatorischer Anforderungen unterliegen. Aus diesen Überlegungen heraus entstand dieses virtuelle Schaumagazin. Anhand ausgewählter Stücke sollen Einblicke in die Sammlung des Schlossmuseums Jever ermöglicht werden.
Rokoko
Das 18. Jahrhundert ist das letzte Jahrhundert mit einer höfischen Reglementierung der Mode. Europa orientierte sich an der Mode des französischen Hofs. Die Mode des Rokoko gilt als Fortführung des Barocks, für die allerdings das Ornamentmotiv und die Asymmetrie im Dekor charakteristisch sind. Teure Materialien wie Seidenbrokate, Seidendamaste und Samt, Edelsteine, Silber und Gold, aufwendige Verarbeitung (Seidenstickereien, Rüschen, Falten, Spitzen) zeugen vom Repräsentationsbedürfnis ihrer Besitzer. Die überlieferten Sammlungsstücke des Schlossmuseums Jever aus dem 18. Jahrhundert belegen das modische Bewusstsein und den Reichtum der Marschenbauern und der kleinstädtischen Oberschicht der Region.
Im höfischen Rokoko setzte sich das Kleid aus einem Manteau und einem Rock zusammen. Das Manteau bestand wiederum aus einem engen, mit mehreren Fischbeinstäben verstärkten Miederoberteil und aus einem daran anschließendem Rock (Manteau-Rock), der häufig in der vorderen Mitte offen war. Darunter wurde der Rock angezogen, die sogenannte Jupe, die aus gleichem oder anderem Stoff wie das Manteau sein konnte. Die verschiedenen Formen des Manteau-Rocks sind beispielsweise: Robe à la Française (charakteristisch sind die von den Schultern herabfallenden, großen Watteaufalten), Robe à l’Anglaise (sehr stoffreiches, von Schulter bis Boden reichendes Rückenteil, dessen obere Partie auf Figur gefaltet wurde und im unteren Bereich die Falten zu einem weiten Rock auf springen) oder Robe à la Polonaise (der Kleidrock wird hinten mit Hilfe zweier Schnüre oder Bänder hochgerafft). Mit Reifröcken wurden die Form und das Volumen erzeugt, um die Pracht der Kleider stärker zur Geltung zu bringen.
Zum besonderen Aufputz des Kleides zählte der keilförmige Stecker oder Bruststecker, der Miedereinsatz, der unter die Schnürung des Oberteils gesteckt oder oberhalb der Schnürung eingehakt wurde. Er kommt in vielfältigen Farbnuancen vor und wurde aus Seidenbrokat, Gold- und Silberspitze hergestellt oder aufwendig bestickt. Der Stecker konnte schnell ausgewechselt werden und trug wesentlich zu der Wirkung des Kleides bei. Ein Exemplar befindet sich in der Sammlung des Schlossmuseums. Der Stecker ist aus einem lose gewebten, goldfarbenen Gewebe gearbeitet und mit mehrfarbiger Blumenstickerei mit Einsatz aus Gold- und Seidenstickerei verziert.
Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts kommt, zunächst in England, die Schoßjacke (Caraco) auf. Mit Schnürmieder verstärkt und mit einem Schößchen angesetzt, wurde die Caraco-Jacke mit Röcken aus gleichem oder anderem Stoff getragen. Die Caraco-Kleider standen gleichberechtigt mit der Robe Manteau. Drei solcher Caracos befinden sich in der Sammlung des Museums.
Der goldfarbene Caraco ist aus Seide und in Damastwebtechnik ausgeführt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist diese Schoßjackenart sehr verbreitet. Das bizarre Muster des Caraco – neben- und ineinander übergehende florale, vignettenartige und ornamentale Motive ohne einen erkennbaren Zusammenhang – ist charakteristisch für das 18. Jahrhundert. Das Schößchen ist in der Taille in Falten gelegt, hüftlang und vorne ebenso lang wie hinten. Der Caraco hat ein tiefes, eckiges Dekolleté und ist im Brustbereich mit dem Schnürmieder versehen. Der Rücken hat eine kleine Watteaufalte, die charakteristisch für die Robe à la Française ist.
Der braune Caraco mit weißen floralen Motiven und der violette Caraco mit weißen, roten und blauen floralen Motiven verfügen über die glatten Schöße und sind hüftlang geschnitten. Beide schließen vorne mit Haken-Verschluss. Auf der Rückseite unterhalb der Taille verfügt das Schößchen über zwei Schlitze, die zum Durchgreifen dienen, um die Rockschleppe anheben zu können. Farbig bedruckte Baumwollstoffe mit bunten Blumen(ranken), die sogenannten „Indienne“, sind bezeichnend für den englischen Einfluss.
Für das bürgerliche Alltagsleben wurde der Rock des Caraco-Kleides verkürzt, um mehr Bequemlichkeit zu erzielen. Der tiefe Dekolletébereich wurde in den 1780er Jahren mit einem Brusttuch, dem Fichu, bedeckt. Alle drei Caracos haben gerade, dreiviertellange Ärmel, die nach hinten etwas länger verlaufen und mit faltenartigen Rüschen abschließen. Die Caracos sind ein Beispiel für die aufkommende bürgerliche Kleidung und den Wandel des Zeitgeistes.
Die Verwendung kostbarer Stoffe und die aufwendige Verarbeitung setzen sich in der Garderobe fort, beispielsweise in der Fußbekleidung und der Kopfbedeckung. Die modischen Stöckelschuhe des Rokoko weisen einen französischen Absatz auf und waren vorne spitz und leicht gebogen. Üblicherweise entsprachen sich linker und rechter Schuh und konnten gewechselt werden. Mit broschierten oder bestickten Seiden überzogen wurden die Schuhe mit Metallspitze aus Gold oder Silber verziert. Hohe Absätze, sowohl in der Frauen- als auch in der Männermode, symbolisierten im 18. Jahrhundert einen gesellschaftlich hohen Stand.
Zwei Paar Damenschuhe sind hier zu sehen. Ein Paar aus Seidenbrokat in den Farben rot, gelb, grün, braun weist eine Schnabelform auf und verfügt über einen französischen Absatz aus Leder. Eine Silberstickerei ziert den Einstiegsrand, die Lasche sowie die Spangen, die unterhalb der Laschen angebracht sind.
Das blaue und weit ausgeschnittene Paar besteht aus bestickter Seide. Die Seide, die sich vollständig um den Absatz zieht, ist mit zum Teil silberner Blumenstickerei verziert. Sehr wahrscheinlich wurde das Paar nur in Innenräumen getragen.
Zum textilen Bestand des Museums gehören etwa 150 Hauben in unterschiedlichen Formen. Kennzeichnend für viele Hauben des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist der friesische Schnitt: zwei abgerundete Hälften sind über die Mittelnaht verbunden und im Nacken in Falten gelegt.
Vielfach wurde Samt oder ein gold- oder seidenbroschierter mit Goldfadenspitze versehener Stoff verwendet. Eine Frauenhaube aus Schortens aus goldgelbem Seidenbrokat mit Blütenmuster in gold, gelb, rot, weiß, blau, grün steht beispielhaft für diese friesische Form.
Der äußere Haubenrand und der Mittelteil wurden mit Goldspitze aus Zerbster Produktion verziert. Geschlossen wird die Haube mit zwei goldfarbenen Bändern. Ein anderes Exemplar ist eine Kinderhaube 18. aus rotem Seidenbrokat, Goldspitze und Tüllspitze.
Sehr beliebt und aufwendig waren auch die so genannten Chinoiserien. Eine China-Begeisterung, die im 18. Jahrhundert in Europa mit dem Interesse an allem Exotischem einherging, führte dazu, dass die asiatischen Muster gerne adaptiert wurden. Von dieser Chinamode ist auch dieses blaue Taufkleides inspiriert. Das mit verschiedenfarbigen, floralen Motiven bestickte Seidenkleid ist ein Beispiel für den Aufwand, den die vermögenden Schichten des Jeverlandes zu feierlichen Anlässen betrieben. Entlang der unteren Kante führt eine goldfarbene Borte. Ebenso auf den Ärmeln, die glatt und lang sind. Das Kleid ist lang, schmal zugeschnitten und wird hinten mit gelben Bänder verschlossen. Es ist innen mit naturfarbenem Atlas gefüttert. Die verwendeten Materialien und die Übernahme höfischer Moden machen deutlich, wie sehr sich die bäuerlich-bürgerliche Oberschicht an der Prachtentfaltung des Adels orientierte.
Ein weiteres modisches Accessoire war der Fächer, der sowohl als ein Statussymbol als auch als ein Hilfsmittel der Koketterie fungierte. Eine Fächersprache diente zum Austausch von nonverbalen Geheimbotschaften. Erste in der Hand gehaltene Fächer kommen im 16. Jahrhundert in Italien auf. Die Fächer boten eine große Bandbreite an Dekorationsmöglichkeiten an. Sowohl die Stäbe als auch die Blätter wurden verziert. Die Stäbe aus Elfenbein, Schildpatt oder Holz wurden vergoldet, beschnitzt, durchbrochen oder bemalt. Das Blatt bestand zu dieser Zeit aus Papier, Leder oder Seide, die bemalt oder bestickt wurden. Die typische Dekoration stellte Schäfer-, Bibel- oder Hafenszenen dar. Nicht selten waren auch höfische Szenen zu sehen, wie sie dieser Fächer zeigt. Er besteht aus 13 geschnitzten Elfenbeindeckstäben mit einem Blatt aus bemalter und paillettenbespannter Seide. In den äußeren Stäben sind Perlmuttplättchen eingelassen. Die meisten Fächer sind Faltfächer. Im 19. Jahrhundert sind dann die Briséfächer populär, dessen Stäbe als Plättchen aneinander gereiht sind und durch ein Band zusammen gehalten werden.
Gegen Ende des 18. Jahrhundert wandelt sich die Mode: Locker fallende Röcke und das Abzeichnen der natürlichen Körperformen in der Kleidung schlagen ein neues Kapitel auf und spiegeln die beginnende Zeit nach der französischen Revolution.
19. Jahrhundert
Die Französische Revolution 1789 erschütterte alte ständische Ordnungen und zog die Suche nach neuen Traditionen nach sich. In diese Phase des politischen und kulturellen Umbruchs fiel die Begeisterung für die Antike und die Sehnsucht nach Reinheit, die sich auch in der Mode widerspiegelte.
Etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts kommt in Mitteleuropa die Stilrichtung des Historismus auf. Die Strömung zeichnet sich dadurch aus, die älteren Stilrichtungen aufzugreifen und auch zu kombinieren. Das Repräsentationsbedürfnis wird erneut verstärkt nach außen getragen.
Es lässt sich vielfach erkennen, dass sich die Stilrichtungen um die Jahrhundertwende gegenseitig beeinflusst haben. Die Modebewegungen kamen nebeneinander vor und wiesen in einer immer schneller werdender Welt nur noch eine kurze Dominanzzeit auf.
20. Jahrhundert
Der Aufbruch ins 20. Jahrhundert wird durch Emanzipation, Sport und Freizeit geprägt und hat Auswirkungen auf die folgenden Jahrzehnte. Alte und neue Moden und Bewegungen existieren nebeneinander, die sich auch im Bestand des Schlossmuseums finden lassen und für Jever und die Region belegt sind.
Die Mode zwischen den Weltkriegen
Mit dem Ersten Weltkrieg endet in ganz Europa das lange 19. Jahrhundert und die Zeit der Monarchien. Zurück aus den Fabriken erobern Frauen die Arbeitswelt – im Büro, Kaufhaus etc. Praktische Kleidung hält Einzug und mit ihr auch die Bewegungsfreiheit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verändern sich die Lebensverhältnisse. Die Frauenkleidung spiegelt in ihrer neumodischen Ausprägung politische und gesellschaftliche Entwicklungen wider.
Mode der Nachkriegszeit
Die Nachkriegszeit in Deutschland ist vom politischen und wirtschaftlichen Ruin gekennzeichnet. Gefolgt von Wohn- und Hungersnot, Materialknappheit und Rationierung in allen Bereichen schafft das Land nach einer Aufbauphase den Sprung zum Wirtschaftsaufschwung und Wirtschaftswunder.
Das Museum verfügt darüber hinaus über einige Exemplare der so genannten “Hippiemode” aus den 1970er Jahren, die in die Dauerausstellung integriert sind und bei einem Museumsbesuch betrachtet werden können, sowie vereinzelte Stücke aus den 1980er Jahren.
Impressum
Recherche, Konzept, Text, Fotografie, Bildbearbeitung und Gestaltung: Nadine Kriwoplas M.A.
n.kriwoplas@gmail.com
Literatur:
- Becker, Dörte: Mode der 50er Jahre für Jedefrau und Jedermann. Hg. v. Landkreis Peine, Kreismuseum Peine, Dr. Ulrika Evers. Peine 2003. [Katalog zur Ausstellung „Mode für Jedefrau und Jedermann … „Sich-Kleiden“ in der Zeit des Aufbaus und des Wirtschaftswunders“, Kreismuseum Peine vom 29.6. bis 19.10.2003] (=Schriftenreihe des Kreismuseums Peine, Nr. 28)
- Boehn, Max von: Die Mode: Eine Kulturgeschichte vom Barock bis zum Jugendstil. Bd. 2. 2., durchges. Aufl. München 1982.
- Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Industriemuseum (Hg.): Reiz & Scham. Eine Ausstellung an zwei Schauplätzen im Rheinischen Industriemuseum. Dessous. 150 Jahre Kulturgeschichte der Unterwäsche, Schauplatz Ratingen. Kleider und Körper seit 1850, Schauplatz Euskirchen. Ratingen 2006.
- Lexikon der Kunst, Bd. 1 (A-Cim). Leipzig 1987.
- Lexikon der Kunst, Bd. 2 (Cin-Gree). Leipzig 1989.
- Lexikon der Kunst, Bd. 3 (Greg-Konv). Leipzig 1991.
- Loschek, Ingrid: Reclams Mode- und Kostümlexikon. 3., rev. und erw. Aul. Stuttgart 1994.
- Ein Hauch von Eleganz. 200 Jahre Mode in Bremen. Handbuch zur Sonderausstellung vom 7. Oktober 1984 bis 3. Februar 1985 im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte (Focke-Museum). Bremen 1985. (=Hefte des Focke-Museums, Nr. 65)
- Hornbostel, Wilhelm (Hg.): Voilà. Glanzstücke historischer Moden 1750- 1960. München 1991.
- Nienholdt, Eva: Kostümkunde. Ein Handbuch für Sammler und Liebhaber. Braunschweig 1961. (=Bibliothek für Kunst- und Antiquitätenfreunde, Bd. 15)
- Zander-Seidel, Jutta: Kleiderwechsel. Frauen-, Männer- und Kinderkleidung des 18. bis 20. Jahrhunderts. Nürnberg 2002.