Die Reiseroute von Ulrich Jasper Seetzen durch Ägypten [68]

seetzen-1Ulrich Jasper Seetzen, Schabkunstblatt, Verlag Garlichs und Bierweiler, 1918, Schlossmuseum Jever

Am 30. Januar 1767 wurde in Sophiengroden – in der Herrschaft Jever – der große deutsche Gelehrte Ulrich Jasper Seetzen geboren. Nach seinem Studium der Medizin und seiner Promotion in Botanik an der Universität Göttingen verfasste er zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze zur Naturkunde und Anatomie. Da seine wahre Leidenschaft jedoch die Erkundung fremder Länder war, plante er Ende des 18. Jh. eine Forschungsreise zur Erkundung des Nahen Ostens und des afrikanischen Kontinents. Dank der finanziellen Förderung des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg und seines Sohnes August gelang es Seetzen, seine Forschungsreise zu unternehmen. Eines seiner Ziele war der Erwerb orientalischer Handschriften und altägyptischer Objekte für die Gründung einer orientalischen Sammlung in Gotha. Aus diesem Grund beabsichtigte Seetzen im Lauf seiner Reise einen Forschungsaufenthalt im Land der Pharaonen.

Am 18. Mai 1807 erreichte Seetzen Kairo, wo er durch den venezianischen Konsul Rossetti empfangen wurde, der ihn dazu einlud, während seines Aufenthaltes in Ägypten bei ihm zu wohnen. Kurz darauf wurde Seetzen in die Freimaurerloge „Pyramide“ aufgenommen. Auch in Europa war diese durchaus gut bekannt, da Ägypten als Wiege der Freimauerei galt. In Kairo widmete sich Seetzen dem Ankauf orientalischer Manuskripte und altägyptischer Stücke.

bulaq-1Der Handelshafen und die Moschee von Būlāq. Kupferstich, 19. Jh. (aus: Description de lʼÉgypte. État moderne, planches. Band 1, Taf. 25)

Seetzen besuchte außerdem historische Bauwerke, z. B. die Festung von Kairo, die ihn trotz ihres damaligen verfallenen Zustandes sehr beeindruckte. Bekanntlich ließ der berühmte arabische Herrscher Saladin die Feste im 12. Jahrhundert errichten, um Kairo gegen die Angriffe der Kreuzritter zu verteidigen; daher wird sie auch „Zitadelle von Saladin“ genannt.

Auch Būlāq, den damaligen Handelshafen von Kairo, besuchte Seetzen, auf Einladung Rossettis, der hier ein Landhaus besaß. Hier bewunderteer eine riesige altägyptische Statue in Form einer weiblichen Mumie. Dabei handelte es sich um einen Sarkophagdeckel aus der 26. Dynastie, den Rossetti in Unterägypten erworben hatte, um ihn dem österreichischen Kaiser zu schenken. Heute ist er unter der Inventarnummer ÄS 3 im ersten Saal des Wiener Kunsthistorischen Museums ausgestellt.

al-fayum-1Al-Faiyūm. Kupferstich, 19. Jh. (aus: Description de lʼÉgypte. Antiquités, planches. Band 4, Taf. 71)

Am 4. Mai 1808, ein Jahr nach seiner Ankunft in Kairo, unternahm Seetzen eine Reise nach al-Faiyūm, die sich aufgrund des Erwerbs zahlreicher altägyptischer Stücke für die altägyptische Sammlung in Gotha als zentral erweisen sollte. Die ersten archäologischen Anlagen, die er hier besuchte, waren die Pyramiden von Amenemhet III. in Hawāra und die von Sesostris II. in al-Lāhūn. Wie er gut beobachtete, sind beide Pyramiden aus Lehmziegeln erbaut und befanden sich schon damals in einem schlechten Zustand.

qasr-quarun-1Qaṣr Qārūn. Kupferstich, 19. Jh. (aus: Description de lʼÉgypte. Antiquités, planches. Band 4, Taf. 69)

Von den beiden Pyramiden aus brach Seetzen nach Abgīg auf, um den Obelisk von Sesostris I. anzusehen, der heute im Zentrum eines Kreisverkehrs in Madīnat al-Faiyūm steht. Sowohl die Größe des Obelisken als auch dessen Darstellungen beschrieb er ausführlich.

Nach dem kurzen Aufenthalt in Abgīg setzte Seetzen seine Reise in Richtung Moeris-See (Ar. BaḥīratQārūn) fort, dessen Name sich anscheinend von dem altägyptischen Ausdruck hieroglyphen-1mrwr „Große See“ ableitet. Sein Zielort war QaṣrQārūn, „das merkwürdigste Gebäude des Altertums“ – so Seetzens Meinung – das sich am Westufer des Sees befindet. Bereits der englische Reisende Richard Pococke war von dem Ausmaß dieser Anlage mit ihren zahlreichen Kammern beeindruckt gewesen und identifizierte sie mit dem seit der Antike bekannten „Labyrinth“. Dieser Auffassung stand Seetzen jedoch skeptisch gegenüber; er vertrat vielmehr die Annahme, dass es sich dabei aufgrund der Struktur um einen altägyptischen Tempel handele. Seine Vermutung war richtig, denn heute gilt als gesichert, dass der Tempel von QaṣrQārūn ein dem Krokodilgott Sobek geweihter ptolemäischer Tempel war und das sogenannte „Labyrinth“ der Totentempel der Pyramide von Amenemhet III. in Hawāra war, wie Richard Lepsius 1843 feststellte.

Nach seiner Untersuchung des Tempels von QaṣrQārūn blieb Seetzen noch einige Tage in der Umgebung des Moeris-Sees, ohne aber weitere ägyptische Denkmäler zu besuchen. Da eine Karawane mit Ziel Kairo ankam, entschied er sich am 23. Mai 1808, al-Fayūm zu verlassen und mit dieserzu reisen. Während der Reise besuchte Seetzen die Pyramiden von Dahschūr, Saqqāra und Giza.

In Dahschūr untersuchte er die folgenden vier Pyramiden:

a) Die Lehmziegel-Pyramide von Amenemhet III., deren schlechter Zustand und Baumaterial ihn an die Pyramide desselben Königs in Hawāra erinnerten.
b) Die Knickpyramide des Königs Snofrus aus der 4. Dynastie. Ihre noch gut erhal-tene Kalkstein-Verkleidung beeindruckte ihn derart, dass er sie an Schönheit mit den großen Pyramiden von Giza verglich.
c) Die „Rote Pyramide“, ebenfalls von Snofru erbaut. An ihrer Nordseite fand er einen Gang, der allerdings mit Schutt gefüllt war.
d) Die Lehmziegel-Pyramide von Sesostris III, der er wegen ihres schlechten Zustandes keine Beachtung schenkte.

In Saqqāra besuchte er zunächst die Mastaba al-Firʿūn, die König Shepseskaf aus der 4. Dynastie für seine Bestattung bauen ließ. Dabei handelt es sich um ein viereckiges Gebäude aus (Tura-)Kalkstein. Er sah auch die Pyramide des Königs Pepi II. aus der 6. Dynastie in der Nähe der Mastaba al-Firʿūn.

stufenpyramide-1Die Stufenpyramide von Djoser in Saqqāra. Kupferstich, 19. Jh. (aus: Lepsius, R. Denkmaeler aus Aegypten und Aethiopien. Tafelwerke, Abtheilung I, Taf. 38)

Schließlich besichtigte er die Stufenpyramide von Djoser aus der 3. Dynastie. Nördlich davon fand Seetzen mit Hilfe eines Scheichs von Saqqāra die „Ibisgrotte“, die Careri auf seiner Reise durch Ägypten gesehen hatte. Zu Seetzens Zeiten lag sie jedoch unter dem Sand verborgen, sodass er einige Bauern bezahlen musste, um ihn wegzuschaufeln. Nach einigen Stunden stießen sie auf einen Schacht, der zu einem von Ibismumien gefüllten Grab führte. Angetrieben durch diese aufregende Entdeckung begann Seetzen auch in der Umgebung der Stufenpyramide nach den „Mumiengrotten“ zu suchen, von denen Careri berichtet hatte. Südlich der Pyramide – wahrscheinlich beim Serapeum von Saqqāra – fand Seetzen in der Tat einige dieser Gräber, in denen er durch eine ausführliche Untersuchung Mumienreste, kleine Idole, Textilien aus Leinen und Reste von Bestattungsobjekten entdeckte.

sphinx-1Die Sphinx von Giza. Kupferstich, 19. Jh. (aus: Description de lʼÉgypte. Antiquités, planches. Band 5, Taf. 12)

Von Saqqāra aus begab sich Seetzen nach Giza, um die berühmten Pyramiden von Cheops, Chefren und Mykerinos zu besuchen. Bei seiner Ankunft sah er sich zuerst die Sphinx an, die ca. 500 m östlich der Chephren-Pyramide liegt. Er beobachtete, dass der gesamte Körper von Sand bedeckt war, sodass man sich ihre löwenartige Figurnur vorstellen konnte. Die vollständige Freilegung erfolgte erst durch Ausgrabungen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts. Eher nebenbei bemerkte Seetzen, unter implizitem Hinweis auf den arabischen Historiker al-Maqrīzī aus dem 15. Jh., dass in älteren Zeiten die große Statue einer sitzenden Göttin mit einem Kind auf ihrem Schoß gegenüber der Sphinx gestanden hatte, die ein arabischer Herrscher im Jahr 1311/711 abgebrochen hatte. Dabei handelte es sich höchstwahrscheinlich um eine Statue der Göttin Isis mit ihrem Sohn Horus.

Von den drei großen Pyramiden in Giza besichtigte Seetzen zuerst die Pyramide von Cheops, die er durch den Eingang auf der nördlichen Seite betrat, um den Königs-sarkophag zu sehen. In der Königskammer fiel ihm außerdem ein „merkwürdiges Loch“ in der Wand auf, wobei es sich wohl um einen der Luftschächte der Pyramide mit symbolischer Funktion handelt. Nach dem Besuch der Cheops-Pyramide besah Seetzen die Chephren-Pyramide. Ihr Inneres konnte er nicht untersuchen, da noch keiner ihrer beiden Eingänge bekannt war. Erst 1818 entdeckte Giovanni Battista Belzoni den Eingang auf der nördlichen Seite. Aus demselben Grund konnte Seetzen auch das Innere der Pyramide von Mykerinos nicht erforschen.

Am 28. Mai 1808 kehrte er nach Kairo zurück, wo er bis April 1809 mit der Besichtigung der Stadt, dem Verfassen von Aufsätzen und der Vorbereitung seiner Reise nach Jemen beschäftigt war. Sechs Monate vor seiner Abreise, im September 1808, fand er dennoch Zeit, um zu den Ruinen der altägyptischen Stadt Heliopolis zu reisen. Hier suchte er den Obelisk von Sesostris I. aus Granit auf, der auch heute noch dort steht.

Bei dem Ausflug nach Heliopolis handelt es sich um den letzten bedeutenden Reisebericht von Seetzen über altägyptische Denkmäler. Am 13. April 1809 reiste er auf die arabische Halbinsel ab, um von dort aus zum Horn von Afrika weiter zu fahren. Aufgrund seines ungeklärten Todes in der Nähe der jemenitischen Hafenstadt Mokka – vermutlich im Oktober 1811 – konnte Seetzen seine Reisepläne bedauerlicherweise aber nicht zu Ende führen.

Während seines zweijährigen Aufenthaltes in Ägypten gelang es ihm, durch Ankauf und durch Grabungen eine Sammlung von insgesamt 1.574 Handschriften und 3.536 Objekten zu erwerben, die er zur Gründung der besagten altorientalischen Sammlung nach Gotha schickte. Damit wurde der Jeveraner U. J. Seetzen zu einem der ersten großen „Sammler“ in der Geschichte der Ägyptologie.
Roberto A. Díaz Hernández

Literatur:
Description de l’Égypte: ou, recueil des observations et des recherchesquiontétéfaites en Égyptependantl’expédition de l’arméefrançaise (23 Bände). Paris, 1809-1826.

Díaz Hernández, R. A. Ulrich Jasper Seetzens Forschungsreise in Ägypten, in: Detlef Haberland: Ulrich Jasper Seetzen (1767 – 1811). Jeveraner – aufgeklärter Unternehmer – wissenschaftlicher Orientreisender. Oldenburg 2014.

Morenz, L. D. Ulrich Jasper Seetzens Konstruktionen Altägyptens. Eine Fallstudie möglicher Ägyptenrezeptionen im frühen 19. Jahrhundert. In: Stefanie Samida (Hg.): Inszenierte Wissenschaft. Zur Popularisierung vom Wissen im 19. Jahrhundert. Biele-feld 2011 (Histoire, Bd. 21).

Schienerl, J. Der Weg in den Orient. Der Forscher Ulrich Jasper Seetzen: Von Jever in den Jemen (1802-1811). Oldenburg 2000 (Schriftreihe des Staatlichen Museums für Naturkunde und Vorgeschichte Oldenburg, H. 16).

Seetzen, U. J. Reisen durch Syrien, Palästina, Phönicien, die Transjordan-Länder, Ara-biaPetrea und Unter-Aegypten. Hg. v. Prof. Dr. Fr. Kruse in Verbindung mit Prof. Dr. Hinrichs, Dr. G. Fr. Hermann Müller u. mehreren andern Gelehrten. 3 Bde. Berlin 1854-1855; Commentare zu Ulrich Jasper Seetzen’s Reisen durch Syrien, Palästina, Phönicien, die Transjordan-Länder, ArabiaPetraea und Unter-Aegypten. Ausgearb. v. Staatsr[at] Prof. Dr. Fr. Kruse u. Prof. Dr. H. L. Fleischer in Verbindung mit mehreren andern Gelehrten. Berlin 1859 (Reprint: Hildesheim, Zürich, New York 2004 [Docu-menta Arabica, Teil I: Reiseliteratur]).

Wallenstein, U. Ägyptische Sammlung. Erfurt 1996.

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