Barthel Gilles – Ein Künstler findet Zuflucht in Ost-Friesland [67]

barthel-gilles-1Abb.1: Detail aus: Barthel Gilles, “Schloss Jever”, Schlossmuseum Jever, Aquarell, 1965,70 x 49,5 cm

Mit 21 Bildern ist ein bedeutender Vertreter der Neuen Sachlichkeit, Barthel Gilles, in der Sammlung des Schlossmuseums Jever vertreten. Gilles ist als äußerst produktiver Künstler bekannt. Umso bemerkenswerter ist, dass alle Bilder in Jever einer kurzen Schaffensphase von zwei Jahren zugeordnet werden können. Sie geben damit einen guten Überblick über das Wirken des Malers in seiner Spätphase, in der er der Kunstszene des Ruhrgebietes den Rücken gekehrt und sich nach Hooksiel zurückgezogen hat.

Die Werke der Sammlung umfassen neben fünf Ölgemälden und 13 Aquarellen auch eine Ölskizze auf Malpappe, eine Pastellzeichnung und – charakteristisch für die experimentellen Techniken des Künstlers – ein mit Wachsstiften und Deckfarben auf Karton gemaltes Bild, welches mit einer Kratztechnik überarbeitet wurde. Die Bilder entstammen dem Nachlass Gilles` und wurden 2009 von Friedhelm Kuhlen überreicht. Kuhlen war es auch, der durch ausgiebige Recherche ein Werkverzeichnis von Barthel Gilles anlegte und mithilfe von alten Fotos auch jene Schaffensphasen erschließen konnte, aus denen heute keine Werke mehr erhalten oder bekannt sind.

1965 ist Barthel Gilles zu seinem Schwiegersohn nach Hooksiel gezogen, der dort als Marineoffizier lebte. Der Umzug zunächst für fünf Jahre nach Bremerhaven und dann nach Friesland war eine bewusste Abkehr von der aktuellen Kunstszene. 50 Jahre hatte Gilles fast ununterbrochen in Köln verbracht und gearbeitet. Hier erreichte er auch in den 20er Jahren den Höhepunkt seines Schaffens als ein bedeutender Künstler der Neuen Sachlichkeit. Schicksal seiner Generation war es, zweimal durch Krieg aus einer relativen Sicherheit gerissen zu werden, um danach völlig neu beginnen zu müssen.

Barthel Gilles, eigentlich Bartholomäus Gilles, wurde 1891 in Rendsburg bei Kiel geboren. Obwohl er aus einer militärisch geprägten Familie kam und seine vier Brüder diesen Weg einschlugen, entschied sich Barthel zunächst bewusst gegen das Militär. Er began eine Ausbildung zum Dekorationsmaler als Kompromiss zwischen dem künstlerischen Interesse und dem Anspruch, einen angesehenen Beruf zu erlernen. Eine Versetzung des Vaters führte zum Umzug nach Köln, wo er seine Lehre 1908 beendet.

Neben dem täglichen Broterwerb begann Barthel nun auch Kurse an der Kunstakademie zu belegen und sich der freien Kunst zu widmen. Umso erstaunlicher erscheint es, dass er sich plötzlich, zwei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, freiwillig zum Militär meldete. Dies bedeutete einen ersten Einschnitt innerhalb seines künstlerischen Schaffens.

Nach seiner Dienstentlassung 1918 kehrte er nach Köln zurück und war außer durch Kriegserinnerungen auch durch eine Granatensplitterverletzung und eine Gasvergiftung gezeichnet. Unter den Nachwirkungen hatte er noch lange Zeit zu leiden.

Die Zeit zwischen den Kriegen wird zu seiner bedeutendsten Schaffensphase. Im Laufe der 20er Jahre er sich der expressionistischen Bewegung an, die aber schnell an Einfluss zugunsten der Neuen Sachlichkeit verlor. Gilles ist eher als Einzelgänger bekannt. Künstlerfreundschaften und Kontakte, die das gegenseitige Werk befruchten, sind selten. Er fand daher einen ganz individuellen Zugang zu den dargestellten Themen und der neuen Kunstströmung. Seine Ausbildung förderte dabei besonders das Interesse an künstlerischen Techniken.

Als Mitglied der ARBKD (Association Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands) und der KPD gerät er in den 30er Jahren zunehmend unter Druck und musste seine politische Gesinnung verbergen. Ende 1933 übernahm er erstmalig Aufträge mit eindeutig nationalsozialistischen Inhalten. Die NS-Zeit überstand er ohne Malverbot. Äußerungen von Gilles selbst fehlen aus dieser Zeit. Es ist daher nicht genau zu bestimmen, ob der Maler seine politische Einstellung revidierte oder sich nur dem aktuellen Regime zuwandte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde Gilles beim Sicherheitshilfsdienst eingesetzt und floh vor Kriegsende nach Hessen.

barthel-gilles-2Abb.2: Signatur des Künstlers aus: Barthel Gilles, “Krabbenkutter ‘im Päckchen'”, Schlossmuseum Jever, Öl auf Leinwand, 1965/66, 59,7 x 79,9 cm

Nach dem Krieg, zurück in Köln, erlangte Barthel Gilles seinen alten Rang als Künstler nicht wieder. Während der europäische Kunstgeschmack sich immer stärker der abstrakten Malerei zuneigte, widmete sich Gilles, wie vor dem Krieg, verstärkt einer expressionistisch-realistischen Kunst, legte sich aber nie auf nur einen Stil fest. Wohl als Folge der geringen Akzeptanz zog sich Barthel in seine Geburtsstadt an der Ostsee zurück. In der Rückbesinnung auf sich selbst und der Konfrontation mit seiner maritimen Umgebung entstand 1957 eine beeindruckende Folge an surrealistischen-visionären Bildern.

Nach Stationen in Bremerhaven und Berlin ging der Künstler schließlich nach Hooksiel. Hier arbeitet Gilles in einem Atelier an der Langen Straße und wohnte unter anderem auch in Warfen und in der Schmiede Harms (Wüppelser Altendeich). Unmittelbaren Niederschlag fand der Umzug in seinen Motiven. Schiffe, Häfen und Deiche bevölkern nun den größten Teil seiner Werke. Schon zuvor hatte er auf Studienreisen das Gesehene in einer Vielzahl von Gemälden und besonders Aquarellen verarbeitet. Aus seiner friesischen Zeit sind allein 86 Aquarelle bekannt, die zeigen, mit welcher Hingabe Gilles seine Umgebung beobachtete. Sein Hauptinteresse galt den Häfen und Wasserwegen, aber auch Gebäude der Region sind vertreten, ebenso wie die arbeitende Bevölkerung, die der Künstler beim Fischen, Boots- oder Deichbau wiedergibt.

barthel-gilles-3Abb.3: Barthel Gilles, “Muschelfischer im Eis, Hooksiel”, Schlossmuseum Jever, Öl auf Leinwand, 1965, 60 x 70 cm

Das Ölgemälde “Muschelfischer im Eis” zeigt ein Fischerboot vor Hooksiel (Abb.3). Das Boot ist von Eis umschlossen. Im hinteren Teil ist der Rumpf angeschnitten, so entsteht der Eindruck einer Rechtsbewegung. Der Bug des Bootes, der genau die Mitte des Bildes einnimmt, wird von zwei Pfosten hinterfangen, die die Bewegung relativieren. Es scheint, als sei das Boot aufgrund der Witterung angetäut. Im Vorder- und Hintergrund reihen sich die Eisschollen dicht aneinander. Die Spiegelung des Himmels im Bereich vor dem Bug lässt jedoch darauf schließen, dass das Wasser hier frei von Eis ist. Obwohl also ein Fahren möglich wäre, macht das menschenleere Boot deutlich, dass jede Arbeit zum Erliegen gekommen ist. Typisch für Gilles war es, neben der reinen Wiedergabe der Natur, auch die Abhängigkeit des Menschen von der Natur und, wie Adam C. Oellers es benennt, die “Vergänglichkeit der menschlichen Konstruktion” darzustellen.

barthel-gilles-4Abb.4: Barthel Gilles, “Krabbenkutter vor Hooksiel”, Schlossmuseum Jever, Aquarell, 1965, 41,9 x 55,7 cm
 

Das Aquarell “Krabbenkutter vor Hooksiel” zeigt, im Gegensatz zum detaillierter ausgearbeiteten Ölgemälde, wie virtuos Gilles mit einfachsten Pinselstrichen eine Szene festhalten konnte (Abb.4). Ohne Binnengliederung sind das Hooksieler Tief und die Ufer als lavierte Flächen angegeben. Nur links wird eine Vegetation angedeutet. Das Schiff hingegen bildet einen deutlichen Kontrast. Mit dunklen schnellen Strichen skizziert der Künstler die Segel. Lediglich die eine Seite des Kutters ist in braun-orange farbig abgesetzt, der einzige Hinweis auf eine Lichtführung im Bild.

Hinter den Segeln ist die fehlende Horizontlinie ein Anzeichen dafür, dass der Künstler zunächst das Schiff und im Nachhinein erst die Landschaft gestaltete. An einigen Stellen ist der Untergrund aber auch bewusst unbemalt geblieben. Eindrucksvoll wird so z.B. die Bugspitze des Kutters betont. Die sich brechenden Wellen am Schiffsrumpf sind durch Deckweiß zusätzlich verstärkt worden.

barthel-gilles-5Abb.5: Barthel Gilles, “Friesischer Moorbauer”, Schlossmuseum Jever, Öl auf Leinwand, 1965, 70 x 60 cm

Das Ölgemälde “Friesischer Moorbauer” ist eines von vielen Porträts, die das Oeuvre des Künstlers prägen (Abb.5). Neben dem reinen Porträt zeigt das Werk aber auch Barthel Gilles` Interesse an der “Welt der kleinen Leute”. Schon 1926 mit “Der Kalistreuer” und 1927/8 mit “Asphaltarbeiter” waren Arbeiterbildnisse entstanden, die zwar nicht in der Malweise, sehr wohl aber von der Motivik von Van Gogh beeinflusst waren, besonders von dessen berühmten “Sämann”. Das ostfriesische Porträt zeigt einen direkten Bezug zu Van Goghs “Porträt des Patience Escalier”. Bei aller Würde, mit der Van Gogh seinen Schafhirten darstellt, ist dieser dennoch von der schweren Arbeit gezeichnet. Seine Augen scheinen müde und er sitzt mit Mühe auf einen Stock gestützt. Anders gestaltet Gilles seinen Moormann. Obwohl sich Kopfform und Körperhaltung der Männer stark ähneln, sitzt der Friese nicht zusammengesunken von der schweren Arbeit, sondern mit einem Bier und einer Zigarre entspannt an einem Tisch. Das Gesicht zeigt zwar auch Spuren von Entbehrungen, ist aber dennoch freundlich, die Wangen sind vom Biergenuss leicht gerötet.

barthel-gilles-6Abb.6: Barthel Gilles, “Kartenspieler”, Schlossmuseum Jever, Wachsfarbe und Deckfarbe auf Karton, 1966, 38,5 x 53 cm
 

Gänzlich anders ist die Wirkung des Bildes “Kartenspieler” (Abb.6). Auch hier sind durch ihre Mützen als Arbeiter gekennzeichnete Männer in ihrer Freizeit dargestellt. Die drei Männer sitzen an einem Tisch und spielen Karten. Neben den Spielkarten deuten die Gläser auf dem Tisch auf ein entspanntes Beisammensein. Die Männer, zwei in strengem Profil und einer frontal wiedergegeben, sind in sehr reduzierter Form dargestellt. Deutlich ist die Kontur der Körper betont, eine Binnengliederung bleibt fast vollständig aus. Auch die Umgebung ist nur angedeutet. Das Fenster lässt auf einen Innenraum schließen. Der Fußboden ist durch den Farbverlauf nicht deutlich von der Wand zu scheiden. Der besondere Farbeindruck und die puristischen Formen liegen auch in der Technik begründet. Mit Wachsfarbe malte der Künstler auf einen Untergrund von Deckfarbe. Durch das Auskratzen der Wachsfarbe, z.B. an der Kleidung der Männer, kommt die Farbe der Untermalung zum Vorschein. Es entstehen so sehr ungewöhnliche Farbübergänge.

barthel-gilles-7Abb.7: Barthel Gilles, “Schloss Jever”, Schlossmuseum Jever, Aquarell, 1965,70 x 49,5 cm

Neben diesem sehr experimentellen Werk ist das Aquarell “Schloss Jever” eines der klassischeren Werke (Abb.7). Gilles entschied sich nicht für die typische Ansicht vom Schlossplatz aus, sondern wählte einen Betrachterstandpunkt im Schlossgarten. Nicht nur dieses Aquarell, sondern auch die erste Ausstellung in Friesland 1965 im “Eulenturm” des Schlosses verdeutlichen seine Verbindung zu Jever. Dieser Tradition folgend fand im Schloss vom 29.April bis 27. Mai 1990 unter dem Titel “Barthel Gilles-Rückblicke” eine weitere Ausstellung des Künstlers statt. Die nun in Jever versammelten Werke dokumentieren auf eindrucksvolle Weise die friesische Schaffensphase von Barthel Gilles.

Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte Barthel Gilles im Ostseebad Glücksburg an der Flensburger Förde. Bis zu seinem Tod am 19. November 1977 blieb seine künstlerische Schaffenskraft ungebrochen.
Nina Bormann

Literatur:

Barthel Gilles – “Rückblicke”. Eine Ausstellung des Landkreises Friesland im Schloss in Jever. 29.April bis 27. Mai 1990, Landkreis Friesland (Hg.), Jever 1990
Euler-Schmidt, Michael, Barthel Gilles: Ein wichtiger Vertreter der Neuen Sachlichkeit, in: Weltkunst, München 1989, Nr. 59, S. 3622-3625.
Jeversches Wochenblatt vom 8. Mai 2009: Gilles-Gemälde dem Schloss übergeben. Der freischaffende Künstler hat in Friesland etwa 150 Werke gemalt / Bestand dokumentieren.
Krabbe, Eva; Oellers, Adam C. (Hrsg.), Barthel Gilles, ein Maler der Neuen Sachlichkeit: Suermondt-Ludwig-Museum und Museumsverein Aachen, 5.9.-21.11.1982, Aachen 1982.
Oellers, Adam C.; Euler-Schmidt, Michael, Barthel Gilles: 1891-1977; Leben und Werk (Oeuvre der Gemälde und Aquarelle zusammengestellt von Friedhelm Kuhlen), Recklinghausen 1987.
Oellers, Adam C., Barthel Gilles “Ruhrkampf” (Barrikade), in: Aachener Kunstblätter, Aachen 1985, Nr. 53, S. 11-14.
Oellers, Adam C., Barthel Gilles (geb. 1891 Rendsburg, gest. 1977 Wees): Selbstbildnis mit Gasmaske, in: Aachener Kunstblätter, Aachen 1984, Nr. 52, S. 9.
Schönborn, Ulrich, Produktive Zeit in Hooksiel, in: NWZ vom 8. Mai 2009.

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