Eine handgezeichnete Landkarte von 1685 [62]

12091_3-M_1Christian Martin Anhalt, Delineatio der Hochgraefl.[ichen] Aldenburgische[n] Vorwerks Landereyen zu Garmes […], ca. 1:9.000, kolorierte Handzeichnung, 1685. Inv.-Nr.12091 (Ka 131). Gutshof mit Befestigung (12091_3)12091_F-M_1Gesamtansicht (12091_F)12091_1-M_1Titelkartusche (12091_1)12091_2-M_1Register-Überschrift (12091_2)12091_6-M_1Ausschnitt Grundstückskartierung (12091_6)12091_5-M_1Gutshof mit Befestigung & Gewässer (12091_5)

Als 1667 Graf Anton Günther von Oldenburg starb, hinterließ er keinen erbberechtigten Nachfolger. Durch testamentarische Verfügung teilte er die eigentliche Grafschaft Oldenburg dem dänischen Königshaus zu, die Erbherrschaft Jever ging an das mitteldeutsche Fürstenhaus Anhalt-Zerbst (zu beiden Dynastien bestanden Verwandtschaftsbeziehungen). Sein unehelicher Sohn erhielt unter dem Titel Reichsgraf Anton I. von Aldenburg (1633-80) eine angemessene Versorgung in Form einer Reihe von Gütern im ehemaligen Herrschaftsgebiet seines Vaters zugewiesen, darunter auch ein Vorwerk zwischen den heutigen Orten Altgarmssiel und Neugarmssiel im Wangerland knapp 15 Kilometer nördlich von Jever. Die Nordsee, heute etwa 5 Kilometer entfernt, reichte im 17.Jahrhundert noch bis in die Nähe des kartierten Gebietes.

Die großmaßstäbige Aufnahme dieses Garmser Vorwerks von 1685 gehört zu den ältesten und schönsten handgezeichneten Karten der Schlossbibliothek. Wie so oft bei alten Karten wird die heutzutage vertraute Anordnung der Himmelsrichtungen durchbrochen, d.h. die Karte ist nicht “genordet” (Norden = oben), sondern in diesem Falle annähernd “gesüdet”; jenseits des unteren Kartenrandes verläuft die Nordseeküste mit den vorgelagerten Inseln Wangerooge und Spiekeroog. Ein recht unauffälliger, unbeschrifteter Nordpfeil in der linken unteren Kartenecke soll der Orientierung helfen. Obwohl das umfangreiche Grundstücksverzeichnis die Arbeit klar als Verwaltungskarte ausweist, hat der Zeichner sich doch große Mühe bei der Ausschmückung der Karte und besonders der Titelkartusche gegeben.

Sie enthält in typisch barocker Mischung aus Umständlichkeit und Präzision folgende Angaben:
“Delineatio [Zeichnung, Karte] der Hochgräfl. Aldenbvrgische Vorwercks Landereyen Zv Garmes, nebest da zu gehörigen außen Teicher Landereyen und den Oister Groden. wie selbige in Junio, A[nno] 1685 Nach der beym Königl: Cammer zu Oldenb. verhandene Neve Landmaß a 18 fueß de Ruthe und 160 Ruth de Jucke gemeßen und nach Die Jeversche Graßen Reduciret von Christian Martin Anhalt Ingenieur Geometer”.

Das schwierige Umrechnen der Maßeinheiten Ruthe, Jucke, Jeversche Graßen (wir befinden uns noch deutlich vor dem Zeitalter der Vereinheitlichung!) wird durch den graphischen Maßstab (rechts unterhalb vom Nordpfeil) erleichtert. Überprüft man die Angaben anhand einer auf moderne Karten gestützten Entfernungsmessung, ergibt sich für das Blatt ein (numerischer) Maßstab von ca. 1:9.000 (1 cm auf dem Blatt entsprechen 90 m in der Natur).

Fast 40 Prozent der Blattfläche macht das “Register der Garmser Groden neben deroselben zugehörige Teichen Einhalt” aus, also eine Art Kataster des eingedeichten (“Teich” = Deich!) und trocken-gelegten Landes (Groden, anderswo Polder oder Koog genannt). Die auf der Karte mit Buchstaben markierten Grundstücke werden im Register mit ihrem genauen Flächeninhalt genannt.

Die im Wortsinne “maßgebende” Behörde in Oldenburg war eine Einrichtung des damaligen Landesherren, des dänischen Königs Christians V. (reg. 1670-99). Neben seinem aufgrund des Testamentes von Anton Günther unbestrittenen Recht als oldenburgischer Herrscher hatte der Dänenkönig auch die Erbherrschaft Jever, die ja eigentlich an Anhalt-Zerbst gefallen war, von 1683 bis 1689 vorübergehend in Besitz genommen, und er suchte überdies nach dem Tode von Anton I. von Aldenburg 1680 die Rechte von dessen noch unmündigem Erben, Anton II. von Aldenburg (1681-1738), einzuschränken. In dieser Situation war es natürlich wichtig, einen genauen Überblick über die Besitzverhältnisse zu gewinnen. Im Spannungsfeld zwischen Dänemark, Anhalt-Zerbst und den Aldenburgern ist die Karte vermutlich in anhalt-zerbstischem Auftrag entstanden. Der Kartograph und Zeichner Christian Martin Anhalt, der sich selbst als “Ingenieur Geometer” bezeichnet, hat 1693 offenbar als Ingenieur und Architekt für die Kayserlich Freye Reichs Stad Bremen gearbeitet.

Das Vorwerk mit seiner Befestigungsanlage, das später im Erbwege an die Familie Bentinck kam, bevor es 1854 vom Oldenburger Staat zurückgekauft wurde, wird zwar noch von anderen historischen Karten des Schlossmuseums verzeichnet; heute jedoch steht auf der einschlägigen Gemarkung Großengarms ein landwirtschaftliches Anwesen, das mit der historischen Bausubstanz, wie sie unsere Karte von 1685 zeigt, nichts mehr zu tun hat.
Ralf Fritze

Literatur:

Georg Sello, Atlas der territorialen Entwicklung des Herzogtums Oldenburg, Göttingen 1917, Bl. X
Albrecht Eckhardt/Heinrich Schmidt (Hg.), Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch, Oldenburg 1987, S.204-213.
Hans Friedl (u.a. Hg.), Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg 1992, S.26-28 (zu Anton I. u. Anton II. von Aldenburg).
Enno Jürgens, Der Graf zu Aldenburg und das Garmser Vorwerk, in: Historien-Kalender [Jever] 1999 (162.Ausg.), S.104-106
Karl-Erich Speith, Anton I. von Aldenburg, in: Vareler Heimathefte Nr.12 (Das Waisenstift in Varel und sein Stifter Anton I. von Aldenburg), Varel ca. 2000, S.50-71.

© Schloßmuseum Jever