Die Wiederentdeckung des Holzschnittes
Etwa seit 1400 ist die Holzschnitt-Technik in Westeuropa bekannt und dient zunächst meist der Herstellung reproduzierbarer Andachtsbilder, die später vielfach koloriert werden. Mit dem Aufkommen der Radierung und des Kupferstiches als Verfahren des Tiefdrucks verliert der Holzschnitt sukzessive an Bedeutung.
Die Weltausstellungen – vor allem 1867 in Paris – leiten einen Bedeutungswandel in den graphischen Künsten ein, nachdem deren Techniken zu reinen Reproduktionsmedien verflacht sind. Sie präsentieren erstmals 1862 in London einer größeren Öffentlichkeit japanische Farbholzschnitte, die seit den 1850er Jahren nach der erzwungenen Öffnung Japans zum Westen hin schnell größere Bekanntheit erlangen. Ihr Einfluss führt zu einer Wiederbelebung der Originalgraphik im eigentlichen Sinne. Die stilistischen Eigenheiten radikalisieren zugleich die Umbruchtendenzen der bildenden Kunst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sie prägen zahlreiche Künstler des Jugendstils und des Symbolismus und beeinflussen von Frankreich ausgehend die Weltkunst. Für die Expressionisten wird der Holzschnitt geradezu zum Extrakt, zum “Wahrzeichen der neuen Kunst”. Dieser Technik verschreibt sich auch Josef Weisz.
Der expressionistische Holzschnitt
Die Wende zum modernen Holzschnitt als eigenständiges künstlerisches Medium und nicht als Reproduktionsverfahren leiten Paul Gauguin und Edvard Munch ein; völlig unverfeinert und mit spontan in das Holz geschnittenen Linien bearbeiten sie die Platte und beziehen die natürlichen Maserungen des Holzes als Gestaltungsmittel ein.
Gerade die Künstler des Expressionismus, die diese Neubewertung der Holzschnitttechnik begeistert aufnehmen, sind fasziniert von ursprünglicher Materialität, den unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten, Eigenschaften und Möglichkeiten von archaischen Werkstoffen und den zugehörigen handwerklichen Techniken, in denen sie sich gestalten lassen. Sie neigen zu prozesshaften, gewissermaßen mühsam zu erringenden und sich befreienden Techniken, die Stadien der Klärung und Läuterung durchlaufen. So ist gerade der Holzschnitt, bei dem die Künstler gegen den Widerstand des Holzes in die Platte schneiden und schon allein die Technik eine formale Konzentration der Gestaltung erzwingt, eines der bevorzugten Medien des Expressionismus.
Bereits im späten 19. Jahrhundert finden sich erste Vorläufer des Expressionismus, wie er bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nachwirkt; gleichwohl wird dem Expressionismus häufig die Zeit zwischen 1905 und 1930 zugeordnet. Wie die Stilrichtung in ihren Anfängen verschiedene Strömungen verdichtet, nimmt sie auch im Verlauf ihrer Entwicklung differierende Einflüsse auf, die in den Arbeiten der so unterschiedlichen Künstler auf ganz spezifische Weise geäußert wird. Während einige Künstler nur kurzzeitige Berührung mit dem Expressionismus haben, bleibt er für andere mehr oder minder zeitlebens werkbestimmend. Zu den Künstlern in der Tradition des Expressionismus zählt auch Josef Weisz, von dem sich ein Druck nach einem Holzschnitt in den Beständen des Schlossmuseums Jever befindet.
Die Technik des Holzschnittes
Der Holzschnitt ist ein manuelles Hochdruckverfahren mit etwa 2 bis 4 cm starken Holzplatten, die in Faserrichtung geschnitten sind. Auf die geschliffene, vollkommen plane Fläche des Brettes (meist aus Birnbaum, Kirschbaum, Erle oder Nussbaum gefertigt) und eine flächige Grundierung etwa aus weißem Kreidegrund, wird die Zeichnung spiegelbildlich aufgetragen. Mit verschieden geformten feinen oder gröberen Messern umschneidet der Künstler die vorgezeichneten Linien seiner Komposition, bis die Zeichnung erhaben liegt. Der entstandene Druckstock wird eingefärbt und mit mäßigem Kraftaufwand oder mit einer Handpresse auf ein saugfähiges Blatt gedruckt. Dieser tradierten Arbeitsweise folgt auch Josef Weisz: “Die Holzschnitte führte ich in der alten Technik des Messerschnitts auf Birnbaum-Langholz aus. Dies ist heute noch dieselbe Art wie zu Albrecht Dürers Zeit. Ein einziges schmales, in kurzem Griff gehaltenes, schräg geschliffenes Messerchen bleibt dafür, neben wenigen Flacheisen zum Ausheben des Grundes, das Werkzeug.”
“Johannes Gutenberg” nach einem Holzschnitt von Josef Weisz
Josef Weisz, der von 1914-1916 die Münchener Kunstgewerbeschule besucht, stellt den Erfinder des Buchdrucks (um 1400-1468) nach rechts gewendet im Dreiviertelprofil dar. Obwohl über Gutenbergs Aussehen keinerlei gesicherte Erkenntnisse vorliegen, stellt sich Weisz in die Tradition des ersten fiktiven Gutenberg-Bildnisses: Es erscheint – ebenfalls als Holzschnitt – in der lateinischen Erstausgabe von Heinrich Pantaleons Lebensbeschreibung berühmter Deutscher in Basel (1565/1568) und ist seither vorbildlich. So gibt der Künstler Gutenberg ebenfalls mit lockigem Haar und Bart wieder, wie auch die Kopfbedeckung ein häufig wiederkehrendes Element in Gutenberg-Darstellungen ist.
Weisz verzichtet auf alles Nebensächliche, konzentriert sich ganz auf Kopf und Gesicht als Ausdrucksträger. Sparsam und reduziert gestaltet er die individuellen Züge und lässt in ausdrucksvoller Grundsätzlichkeit das Wesentliche des Charakters hervortreten: Gefurchte Stirn, zusammengezogene Augenbrauen und klarer Blick betonen das Ringende, zugleich aber Konzentration und Ruhe des Erfinders.
Nah gesehen nimmt das Portrait den Großteil der Bildfläche ein. Ohne jegliche räumliche Konstruktion und in starker Silhouettenhaftigkeit bestimmen rein flächige, reduzierte Mittel den Bildaufbau. Ein harmonischer Rhythmus aus sich wiederholenden, gerundeten und gestrichelten Formen charakterisiert das Kompositionsprinzip der vereinfachten Zeichensprache, das Statik und Bewegung der stereometrischen Grundformen synthetisch vereint. In abstrahierender Vereinfachung liefert Weisz keine naturalistische Nachahmung mehr sondern verdichtet seine Darstellung durch Linienführung und überlegte Hell-Dunkel-Verteilung. In seinen Jugenderinnerungen formuliert er: “(…) ich konnte nicht die Notwendigkeit erkennen, dass die Kunst der Spiegel der Natur sein müsse.”
Der stilistisch in der Tradition des Expressionismus stehende Holzschnitt, der als Vorlage diente, ist vermutlich Ende der 20er oder in den 30er Jahren entstanden. Da der Künstler jedoch zeitlebens dem Expressionismus nahe steht – was ihm gelegentlich den Vorwurf des Epigonenhaften einbrachte – wäre auch eine spätere Datierung möglich. Die typographische Bezeichnung “JOHANNES GUTENBERG NACH EINEM HOLZSCHNITT VON JOSEF WEISZ GEWIDMET VON DER STEMPELGIESSEREI D. STEMPEL AG FRANKFURT A. M.” weist in die gleiche Richtung: Zu verschiedenen Gelegenheiten oder Gutenberg-Jubiläen gibt die Schriftgießerei Stempel Publikationen heraus (etwa 1927, 1928, 1937, 1940 oder 1947), in deren Zusammenhang das Blatt entstanden sein könnte.
Michael Temme
© Schloßmuseum Jever