Münzen des 11. Jahrhunderts sind wenig zugängliche Ausstellungsobjekte. Sie faszinieren zunächst durch ihr Alter, doch vermögen sie nur in seltenen Fällen den Betrachter mittels ihrer Münzbilder zu fesseln. Auch die Bilder der hier thematisierten Münzen erschließen sich dem ungeschulten Betrachter wohl eher nicht.
Der Denar (Denar ist die lateinische Bezeichnung für Pfennig) Bernhards II. (1013-1059) zeigt in einem Perlenkreis einen barbarisierten Kopf in frontaler Ansicht. Die etwas jüngere Münze aus der Regierungszeit des Herzogs Otto (Ordulf) (1062-1086) gibt ebenfalls die frontale Ansicht eines Herrschers mit Krone und Bart wieder. Auf den Rückseiten der Münzen sind in einem Perlkreis Kirchenfahnen zu sehen. Bei beiden Herrscherbildern handelt es sich allerdings nicht um Portraits im modernen Sinne. Es sind stilisierte Köpfe, die wohl keine Ähnlichkeit mit den Adeligen aufweisen, die sie prägen ließen.
Wenn man sich von den Münzen auf den ersten Blick Aufschlüsse über ihre Entstehungszeit erwartet, wird man enttäuscht. Umso mehr, wenn man erfährt, dass die Münzbilder im Hochmittelalter in der Regel nicht für den jeweiligen Münzherren entworfen und geschnitten wurden. So ist auch die Bedeutung der Kirchenfahnen auf den Rückseiten der Denare unklar. Fast alle der 167 bis 1100 in Deutschland bekannten Münzorte kopierten lediglich die Münzen einiger weniger bedeutender Münzorte. In Friesland waren zu dieser Zeit oftmals Münzen aus Goslar das Vorbild.
Die zunächst vielleicht unscheinbar wirkenden Münzen können allerdings sehr aufschlussreich sein, wenn man beginnt, die richtigen Fragen an sie zu stellen: Wer waren die Menschen, die diese Münzen herstellen ließen? Wieso gab es im 11. Jahrhundert so viele verschiedene Münzorte in Deutschland? Wo und wie hat man diese Münzen gefunden und welche Aussagen lassen sich ihnen entlocken?
Die Herzöge Bernhard II. und Otto, die diese Münzen herstellen ließen, gehörten zum Geschlecht der Billunger. Die Kernlandschaft dieser Adelsfamilie war der “Bardengau” mit Lüneburg, sie besaßen aber auch an der mittleren Weser Grund und Boden. In Lüneburg und auch in Mundburg ließen die Billunger ebenfalls Münzen schlagen. Nachdem Heinrich I. 919 für das sächsische Herzogsgeschlecht der Ottonen die Königskrone des vormaligen fränkischen Ostreiches erlangte, übten die Billunger zeitweise herzogliche Rechte in Sachsen aus, zu dessen Herrschaftsbereich Jever zu diesem Zeitpunkt gehörte. Im Unterschied zu anderen Königreichen (England) wurden hierzulande landesherrschaftliche Aufgaben, wie z. B. die Herstellung von Münzen, nicht zentralistisch vom König gelöst, sondern weitgehend an eine Gruppe von geistlichen und weltlichen Mächtigen (Erzbischöfe, Bischöfe, Herzöge und Grafen) delegiert. Die gezeigten Münzen dokumentieren also politische Strukturen Jevers, Sachsens und des Reiches.
Die meisten heute bekannten Münzen, die im 10. und 11. Jahrhundert in Zentraleuropa hergestellt worden sind, wurden in Skandinavien gefunden. Ursache dafür war der rege Handelsverkehr Zentraleuropas mit dieser Region, der sogenannte “Wikingerhandel”. Es wurden große Mengen Geld (mehr als im folgenden 12. Jahrhundert) geprägt, um handwerkliche Erzeugnisse und Luxusgüter aus Skandinavien einzuführen. Diese Periode der Münzprägung wird deshalb als die des “Fernhandelsdenars” bezeichnet.
Die Beziehungen mit den Männern aus dem Norden gestalteten sich allerdings nicht immer friedlich. Wenn sie nicht als Händler Waren gegen Rohstoffe (Felle etc.) und Geld tauschten, traten sie auch als Krieger und Eroberer auf. So gelangten die meisten der zu dieser Zeit in England angefertigten Münzen (Scettas) in Folge des einseitigen Warenverkehrs oder als Tribut oder Beute nach Skandinavien. Entgegen der verbreiteten Vorstellung vom “Finsteren Mittelalter”, das immer düsterer wird, je weiter man in der Zeit zurück geht, liefern diese “Fernhandelsdenare” den Beweis für die Existenz eines internationalen Handelsverkehrs. Ein lebhafter Markt für Güter des gehobenen Bedarfs, der im 10. und 11. Jahrhundert ganz Europa und Skandinavien umfasste.
Größere Mengen gefundener Münzen bezeichnet man als Hort- oder Schatzfund. Münzen wurden aber nicht nur in Ausnahmesituationen verborgen, um sie vor Räubern und Eroberern zu schützen, auch wenn diese Bezeichnungen den Gedanken daran evozieren. Man spricht vom Geldversteck als “Bank” früherer Zeiten. Größere Mengen von Münzen zu verbergen war ein alltäglicher Vorgang. In einigen Fällen kann es sich auch um den Versuch gehandelt haben, materiell hochwertige Münzen (deren Metallwert den reinen Geldwert überschritt) zu sichern. Neben dem profanen Zweck, seinen Besitz schützen zu wollen, gab es auch kultisch motivierte Aufbewahrungen, z. B. in Gräbern. Religiös bedeutsame Orte wurden oft durch vergrabene Münzen geehrt oder man versuchte, “höhere Mächte” durch ein Geschenk für sich gnädig zu stimmen.
Münzen geben aber nicht nur Auskunft über Verbindungen, die zwischen den jeweiligen Entstehungs- und Fundorten bestanden haben. Die in der Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelte Methode des “Stempelvergleichs” ermöglicht es (bei einer ausreichenden Menge von erhaltenen Münzen) auch Informationen über die wirtschaftliche Bedeutung des Entstehungsortes zu gewinnen. Münzen wurden im Mittelalter nicht geprägt, sondern geschlagen, d. h. die negative Form der Unter- und Oberstempel wurden durch einen Hammerschlag auf den Rohling (Schrötling) aufgebracht. Durch die mechanische Belastung nutzte sich der Oberstempel entsprechend schneller ab. Der Unterstempel hatte eine 2-3 mal längere Lebensdauer. Durch Vergleich der Münzbilder ist es möglich nachzuweisen, ob der Unterstempel kontinuierlich zusammen mit wechselnden Oberstempeln genutzt wurde. Manchmal wurden auch gleichzeitig mehrere Prägestöcke für die Herstellung eines Münztyps benutzt. Je mehr Münzen produziert wurden, um so größer war die wirtschaftliche Bedeutung des Herstellungsortes. Für einen solchen Vergleich braucht man allerdings eine große Menge Münzen eines Typus. Die im Schlossmuseum vorhandenen 17 Münzen aus der Zeit der Billunger reichen für eine Untersuchung nach dieser Methode nicht aus.
So kann man sagen, dass die Münzen des 11. Jahrhunderts, vielleicht sogar aufgrund ihrer Fremdartigkeit, dazu geeignet sind, dem heutigen Betrachter Einblick in eine Epoche zu gewähren, die seit fast 1000 Jahren Vergangenheit ist.
Lutz Stöppler
Literatur:
Kluge, B.: Deutsche Münzgeschichte von der späten Karolingerzeit bis zum Ende der Salier (900-1125), Sigmaringen 1991.
Grierson, P.: Coins of Medieval Europe, 1991.
© Schloßmuseum Jever