Nach dem plötzlichen Tod Johann Rudolfs von Anhalt-Zerbst 1667 fiel mit den übrigen Besitzungen des Fürsten auch die Erbherrschaft Jever an seinen Sohn Carl Wilhelm, der bis 1718 regierte. Das Jeverland besaß traditionell ein eigenes Währungssystem und Münzsorten, die es in den anhaltischen Stammlanden nicht gab und die sich stark an niederländischen Vorbildern orientierten; so etwa den Stüber und Doppelstüber (,Schaf’), ,Malschillinge’ (zu 6 Stüber) und ,Löwentaler’ (zu 40 Stüber).
Als gesamtstaatliche Großsilbermünze existierte neben dem Reichstaler, der selten und eher als ,Schaumünze’ – zu Repräsentationszwecken – denn für den Zahlungsverkehr geprägt wurde, das Zweidrittelstück des Reichstalers, Gulden oder auch Doppelmark genannt. Der Gulden wurde in den Münzstätten zu Zerbst und zu Jever einheitlich nach dem Fuß der Zinnaischen Konvention von 1667 ausgebracht, wonach die Gewichtsmark (rund 234 g) Feinsilber 10½ Taler ergab. In Jever galt der Gulden 36 Stüber oder, nach der ebenfalls verwendeten oldenburgisch-bremischen Rechnungsweise, 48 Grote. Bei einem Durchmesser von circa 3,8 Zentimetern konnte er im Rauhgewicht erheblich schwanken; die vorliegenden Stücke wiegen 19 (Jever) beziehungsweise 16,4 Gramm (Zerbst).
Während das Halbstück des Guldens, der Dritteltaler (,Mark’), durch typische Münzbilder wie den jeverschen Löwen oder den jeverschen Helm mit Pfauenfedern leicht als Gepräge der Erbherrschaft erkennbar ist, unterscheiden sich die Gulden der 1670er Jahre im Grunde nur in der Umschrift. Der Katalog von Merzdorf, ein Standardwerk, hat daher Stücke wie den Gulden von 1675 gar nicht als jeversche Prägungen verzeichnet; Mann (vgl. S. 249) zählt ihn zu den Zerbster Münzen.
Die Umschriften der Porträtseite weichen auch kaum voneinander ab. Sie bezeichnen Carl Wilhelm als “Princeps Anhaltinus Comes Ascaniae Dominus Servestae Bernburgii Ieverae & Kniphusii”, das heißt: als Fürsten von Anhalt, Grafen von Askanien, Herrn von Zerbst, Bernburg, Jever und Kniphausen. Auf unsrer jeverschen Münze fehlt jedoch der sonst übliche Hinweis auf den göttlichen Ursprung all dieser Herrschaftsrechte, das “Dei Gratia”. Vielleicht wurde es angesichts der frommen Legende der Wappenseite für entbehrlich gehalten? Diese lautet: “In Domino Fiducia Nostra”, zu Deutsch etwa: Unsere Zuversicht ruht auf dem Herrn. Die Zerbster Prägung von 1678 hingegen teilt durch die rückseitige Umschrift lediglich mit, dass es sich bei diesem Stück um eine “neue” – nämlich dem Zinnaischen Fuß entsprechende – Silbermünze der auf der Vorderseite bereits genannten Territorien handelt: “Moneta Nova Argentea Principatus Anhaltini Servestae Dynastiae Ieverae et Kniphusii.”
Links und rechts neben dem zwölffeldigen Wappen unter dem Fürstenhut hat als Münzmeister des Zerbster Guldens C[hristoph] P[flug] gezeichnet, der von 1674 bis 1686 ausschließlich an dieser Münzstätte tätig war. Auf dem Gegenstück fehlt eine entsprechende Angabe. Doch ist die künstlerische Handschrift Christian Pfahlers, der von 1675 bis zu seinem Tod 1694 das Amt des jeverschen Münzmeisters bekleidete, unverkennbar: “Auffällig […] ist das Auge, das […] nicht im Profil, sondern frontal dargestellt wird” (Bendig S. 7).
Der jeversche Gulden zeigt uns Carl Wilhelm als einen noch jungen Mann. Drei Jahre später hat das Porträt – keineswegs bloß durch die mächtige Perücke – deutlich an Fülle und damit an der vom Barock geschätzten Würde gewonnen. Beide Münzen präsentieren den Fürsten im Harnisch, einem damals aus gutem Grund beliebten Accessoire: 1672 bis 1679 standen Kaiser und Reich an der Seite Hollands im Krieg mit dem Frankreich Ludwigs XIV.
Bald nach Carl Wilhelms Regierungsantritt begann die ,Zweite Kipperzeit’, eine Periode systematischer Münzverschlechterung, durch die viele der prägeberechtigten Reichsstände ihre Finanzen zu sanieren suchten. So auch der Erbherr von Jever. Seine Münzen waren wegen ihres unzulänglichen Feingehalts berüchtigt; 1680 beispielsweise dekretierte der Regensburger Reichstag die “devalvation” – Abwertung – der Halbgulden. Bei einer Prägung, die wesentlich dafür bestimmt war, jenseits der Landesgrenzen als vollwertig abgesetzt zu werden, machte es Sinn, die Herkunft zu verschleiern. Dass der jeversche Gulden nicht auf den ersten Blick als solcher zu identifizieren ist, mag darum durchaus beabsichtigt gewesen sein.
Martin Senner
Inventarnummern:
Schlossmuseum Jever, Inv.-Nr. 10440, 05349
Literatur:
J. F. L. Th. Merzdorf: Die Münzen und Medaillen Jeverland’s auf Grund verschiedener Münzsammlungen namentlich der Sr. Königl. Hoheit des Grossherzogs von Oldenburg, Oldenburg 1862
J. Mann: Anhaltische Münzen und Medaillen vom Ende des XV. Jahrhunderts bis 1906, Hannover 1907
Hanfried Bendig: Unbekannte jeversche Münzen des Fürsten Karl Wilhelm von Anhalt-Zerbst. Festvortrag zum 25-jährigen Jubiläum der Oldenburger Münzfreunde am 18. Februar 1984 [Typoskript]
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