Über Schönheit und Wert der Hundefiguren aus weissglänzendem und – in unserem Falle – goldbronziertem Steingut mag man sich streiten. Erstaunlich genug aber ist es, in welchem Umfang die Kenntnis solcher Keramiken bis hin zur mittleren und jüngeren Generation der hiesigen Küstenregion vorhanden ist. Während einige zufällig befragte Personen sogar den Verbleib ähnlicher Figurenpaare angeben konnten, waren sie bei anderen zumindest noch in die Erinnerung an die Stuben der Gross- oder Urgrosseltern eingebunden. Noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts scheinen diese Steingutfiguren eine enorme Verbreitung gehabt zu haben. “Hus bi Hus har’n se disse Huntjes”, konnte eine heute 72 Jahre alte Gewährsfrau über ein ostfriesisches Fehndorf der 20er Jahre berichten, in dem es in fast allen Familien Seefahrer gegeben hat. Doch trotz dieser offensichtlich grossen Verbreitung haben solche Keramiken ebenso wie andere Seefahrersouvenirs, zu denen sie gehören, das Interesse der volkskundlichen oder kulturgeschichtlichen Forschung nur am Rande bewegt. So ist z. B. der Eingang der ausgestellten Hundefiguren in das Schlossmuseum im Inventarverzeichnis von 1957 nur mit der lapidaren Notiz “2 Porzellanhunde mit Vergoldung” vermerkt.
Allein für den südlichen Ostseeraum wurden bisher eingehende Untersuchungen durchgeführt, die in mehreren höchst aufschlußreichen Arbeiten von Wolfgang Rudolph ausgewertet worden sind. Wenn die oben genannte Gewährsperson über die Herkunft eines Figurenpaares berichten kann, dass ihr Grossvater, ein Schiffer, dieses in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts von einer Englandfahrt mitgebracht hat, dann entspricht dies ganz den von W. Rudolph aufgezeigten Zusammenhängen. Neben Bremen, Hamburg oder Amsterdam waren englische Häfen wichtige Anlaufpunkte auch für die kleingewerbliche ostfriesische und oldenburgische Schiffahrt des 19. Jahrhunderts. Und von dorther brachten die Seefahrer, vom Kapitän bis zum Matrosen, englische Keramik in grossen Mengen mit nach Haus.
Die Palette dieser Mitbringsel aus Steingut reichte vom teuren vielteiligen Service über goldlüstrierte Kannen und Töpfe bis zu den oft als Pendants angebotenen figürlichen Keramiken, zu denen eben auch die Hundepaare in zahlreichen Variationen gehören. Englisches Steingut war im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einer Qualität hin entwickelt worden, die dem begehrten und bis dahin nur für wohlhabende Schichten erschwinglichen Porzellan in seinen Eigenschaften und seiner Erscheinungsweise sehr nahekam. In den Manufakturen der Grafschaft Staffordshire, die diesen Keramiken die Bezeichnung Staffordshirefiguren eintrug, aber auch in den Werkstätten der britischen und schottischen Nordseeküste wurde die Herstellung der Figuren mit rationellen Verfahren betrieben. Bei der Fertigung reichten drei Gussformen für die Vorderseite, die Rückseite und die Standfläche aus, und die Bemalung beschränkte sich seit den vierziger Jahren zumeist nur noch auf die Schauseite. Wie diese ausschliesslich vorderseitige Gestaltung verweist auch die landläufige Bezeichnung der Keramiken als Kaminhunde auf die Art ihrer Verwendung. Als Schaustücke zierten diese Mitbringsel – soweit vorhanden – die Kaminsimse in den Wohnstuben der Seefahrer.
Gerade für das vorwiegend bäuerlich-ländliche Umfeld der Dorfschiffer dürften die neuen, das kostbare Porzellan imitierenden Objekte eine Attraktivität besessen haben, die heute kaum noch vorstellbar ist. Im Verein mit den damals neu angeschafften Kommoden, Vertikos oder Eckschränken, die neben den Kaminsimsen bevorzugte Stellflächen der Keramiken wurden, und den Schiffsmodellen und -darstellungen, bildeten solche Steingutfiguren ein relativ stabiles und vor allem im Matrosenhaushalt verbreitetes Element eines neuen maritimen Kulturstils.
Dass dieser kulturelle Stil bei aller Selbstständigkeit von Leitbildern und Geschmacksmustern der führenden sozialen Schichten geprägt war, das macht nicht nur die Übernahme des ausgesprochen bürgerlichen Mobiliars deutlich. Die aussergewöhnlich grosse Beliebtheit der englischen Steingutprodukte ist ohne die Vorbildwirkung des Porzellans der wohlhabenden Haushalte, das neben seinem hohen Gebrauchswert immer auch die Funktion von Prestigeobjekten und Statussymbolen besass, kaum zu erklären. Selbst viele der gestalteten Motive sind anderen als den Lebenszusammenhängen der Käufer dieser Waren entnommen. So gehörte z. B. das Figurenpaar “Prince of Wales” und seine “Princess” ebenfalls zu den verbreiteten Dekorstücken der Seefahrerhaushalte. Und die Hundefiguren, in unserem Fall wohl eine Spanielart darstellend, dürften auf das Vorbild der insbesondere bei den Hofdamen beliebten und auf vielen Bildern des 17. und 18. Jahrhunderts abgebildeten Luxushündchen zurückzuführen sein. Mit den tiefgreifenden Veränderungen, die die Schifffahrt zum Ende des 19. Jahrhunderts hin völlig umstrukturiert hatte, mit dem Niedergang des kleingewerblichen Schiffsverkehrs und der massiven Ausweitung der Fahrtreviere setzten sich auch im maritimen Kulturstil neue Orientierungen durch. An die Stelle der Mitbringsel aus englischem Steingut traten jetzt vornehmlich die Souvenirs aus dem Fernen Osten. Zur gleichen Zeit etwa, als sich die Wertschätzung des englischen Steinguts änderte, gerieten die Kaminhunde in einen neuen Zusammenhang, in dem sie zuweilen bis heute “überliefert” werden. Sie wurden zum Gegenstand einer Geschichte, nach der sie von den Seeleuten in englischen Bordellen erworben worden sein sollten – eine Geschichte, in der sich das Vergnügen an der anrüchigen Vorstellung äussert, die aber nach Wolfgang Rudolph wohl eine späte Erfindung ist.
Peter Schmerenbeck
Literatur:
Brackert, H.; van Kleffens, C., Von Hunden und Menschen, München 1989.
Cameron, Elisabeth; Encyclopedia of Pottery & Porcelain, London, Boston 1986.
Rudolph, Wolfgang, Die Hafenstadt, Leipzig 1980.
Ders., Seefahrer-Souvenirs, Leipzig 1982.
Ders., Maritime Kultur der südlichen Ostseeküste, Rostock 1983.
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