Eine Tabaksdose kann neben ihrer eigentlichen Funktion, Tabak aufzubewahren, auch eine andere Aufgabe übernehmen. Sie kann als Botschaftsträger fungieren. Ein anschauliches Beispiel bietet dafür eine Tabaksdose, die sich im Besitz des jeverschen Schloßmuseums befindet.
Beim ersten Anschauen der Dose fällt dem Betrachter nichts Ungewöhnliches auf. Aus Kupfer gefertigt, in eine rechteckige Form gepreßt und Ober- und Unterseite mit eingravierten Motiven verziert – eine Tabaksdose, wie es sie im 18. Jahrhundert zahlreich gegeben haben mag. Doch die Wahl der Motive regt zum Nachdenken an: Auf dem Deckel sieben Wappen, die nur Heraldik-geschulte Kenner gleich entschlüsseln können. Also wirft man den nächsten Blick auf die Unterseite. Im Profil sind rechts und links Häupter zu sehen, die durch ihre Kopfbedeckungen auffallen. Der flache Hut der linken Figur weist auf einen Kardinal hin, das kronenförmige Gebilde auf dem Kopf der rechten Figur (auf der Dose leider nur noch sehr schwer erkennbar) soll den Kopfschmuck des Papstes andeuten. Nur – was wird aus diesen Gesichtern, wenn man die Dose dreht? Der Kardinal verwandelt sich in einen Narren, der Papst wird zum Teufel degradiert. Welche Hintergründe mag das haben? Wenden wir unseren Blick wieder der Deckelseite zu. Vor allem der mit Schwert und sieben Pfeilen bewaffnete Löwe fällt ins Auge. Der Literatur ist zu entnehmen, daß jener das Wahrzeichen der Niederlande darstellt und eine ganz besondere Geschichte aufweist.
Schauen wir uns die geschichtlichen Hintergründe an: Karl V. (1500 – 1558), der durch seine Großmutter Maria von Burgund den Besitz der Niederlande geerbt hatte, gab seine Königsherrschaft 1556 auf und übertrug sie seinem Sohn Phillipp II. (1527 – 1598). Dieser erhielt zusätzlich die vollkommene Herrschaftsgewalt über Spanien, das er zu einer katholischen Hochburg ausbaute. Zu jener Zeit war ohnehin schon mehr als ein Viertel der Bevölkerung als Mönche oder Nonnen im Kloster zu finden. Im Zeitalter der Glaubensspaltung war dies ein interessantes Ereignis, da viele Gebiete sich nun dem reformierten Glauben zuwandten. Doch Phillipp II. bewies sich als Anhänger der Gegenreformation und förderte diese so gut er konnte.
Es gab kaum mehr Bereiche, in denen sich der Katholizismus in Spanien nicht bemerkbar machte, denn Maxime wie Disziplin, Tapferkeit und Frömmigkeit galt es strikt zu befolgen. Selbst das Hofzeremoniell verlief nach strengen und pedantischen Regeln und war bald europaweit bekannt. Die Spanier entwickelten ein übersteigertes Überlegenheitsgefühl und Nationalbewußtsein, welches sie in anderen Staaten unbeliebt machte. So auch in den Niederlanden.
Dort wurde neben der Ausübung eines calvinistisch geprägten Glaubens zusätzlich versucht, eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem spanischen Herrschaftsgebiet Phillipps II. zu erreichen. Denn die Niederlande fühlten sich nicht nur unter politischen, sondern auch unter religiösen Druck gesetzt, z.B. durch die geplante Gründung neuer Bistümer oder die Einführung der Inquisition. Um solche zukünftigen Belastungen auszuschalten, kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Wilhelm von Oranien (1533 – 1584) trat in diesem “Freiheitskampf der Niederlande” als herausragende Führerfigur auf. Der blutige Aufstand endete mit der Teilung der Niederlande in einen nördlichen und südlichen Teil. Letzterer blieb weiterhin der spanischen Herrschaft unterstellt.
Im Norden wurde 1579 in Utrecht die “Union der nördlichen sieben Provinzen” gebildet, die die Gebiete Geldern, Holland, Seeland, Uetrecht, Friesland, Overijssel und Groningen umfaßte. 1581 sagten sich die Niederländer endgültig von den Spaniern los, was jedoch erst 1648 vollständig anerkannt wurde. Soweit der historische Abriß.
Die Tabaksdose berichtet also mit ihren Darstellungen von einem Schlüsselereignis der niederländischen Geschichte: die Geburtsstunde der Niederlande als autonome Republik. Der vordergründige Witz der kupfernen Dose entpuppt sich zu einer Sache, die den Nationalstolz der Niederländer ausmacht. Nicht einfach eine plumpe Verunglimpfung der Katholischen Kirche soll dargestellt werden, sondern vielmehr die erfolgreiche Bekämpfung des Katholizismus, der in Gestalt der spanischen Herrschaftsmacht auftrat. Der Sieg offenbarte sich in der Entstehung einer Republik, die sich aus sieben eigenständigen Provinzen zusammensetzte. Das Erstaunliche dieser Staatsform lag in der Souveränität jeder einzelnen Provinz, die eigene Verfassungen hatten und ein eigenes provinzielles Zusammengehörigkeitsgefühl, aber sich trotzdem einträchtig unter dem Dach des niederländischen Hauses zusammenfanden. In jenen Tagen schon einen Förderalismus entwickelt zu haben (mindestens andeutungsweise), hieß der Zeit weit vorauszugreifen, war doch das zentralistische Herrschaftsprinzip noch weit verbreitet.
Die Dose erzählt von einem Prozeß, der auch heute noch aktuell ist: dem Zusammenschluß von Staaten mit eigenem Charakter, eigener Geschichte und Kultur, der nun unter dem Namen “Europäische Gemeinschaft” vorangetrieben werden soll.
Mechthild Wessel
Literatur:
Der Grosse Brockhaus, 16. völlig neu bearbeitete Auflage, 8. Bd. Wiesbaden 1955
Horst Lademacher: Die niederländische Republik. Ein Föderalismus der besonderen Art. In: Journal Geschichte, Bd. 2, Europa. Weinheim 1990
Werner Schäfke: Blauer Dunst. Vier Jahrhunderte Tabak in Köln. Köln 1984
Heinrich Schmidt: Politische Geschichte Ostfrieslands. Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd. V. hrsg. Jannes Ohlig. Leer 1975
Christian Zentner: Geschichtsführer in Farbe. Weltgeschichte in Bildern, Daten, Fakten. München 1980
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