Im “Barnutz-Zimmer” des Schloßmuseums Jever steht in der gemütlichen Sitzecke auf dem Tisch eine Petroleumlampe aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, die vermutlich unter den zahlreichen Objekten nicht weiter auffallen wird. Dennoch spielt sie in diesem und anderen vergleichbaren Räumen eine besondere Rolle, so daß es lohnenswert erscheint, sie einmal als “Objekt des Monats” hervorzuheben.
Unser technisches Zeitalter wurde und wird wesentlich mitbestimmt durch die Entwicklung der Lichtquellen und Leuchten. Auch hinsichtlich der gesellschaftlichen bzw. zivilisationsgeschichtlichen Entwicklung kommt der künstlichen Beleuchtung eine wichtige Rolle zu. Ende des 18. Jahrhunderts geriet die Jahrtausende fast unverändert gebliebene Beleuchtung in Bewegung. Nicht wenige sehen in den Bestrebungen der Aufklärung, “mehr Licht” in das Dunkel der menschlichen Aktivitäten zu bringen, deutliche Parallelen zu den gleichzeitigen Bemühungen um verbesserte Beleuchtungsmethoden. Der Antrieb dazu ist jedenfalls im erhöhten Lichtbedarf der Zeit zu sehen (vor allem in den Fabriken), der unmittelbare Auslöser dagegen in der Theorie der Verbrennung, die Lavoisier in den 1770er Jahren entwickelt hatte (die Bedeutung des Sauerstoffs neben dem eigentlichen Brennmaterial). Die Schlußfolgerung konnte nur sein, daß die Lampen so konstruiert werden mußten, daß die Flamme mehr Luft erhielt. So sorgte der französische Physiker Argand 1783 mit der Erfindung des Rundbrenners für den ersten maßgeblichen Fortschritt der Beleuchtungstechnik. Er verwendete einen ringförmigen, hohlen Docht, so daß der Flamme von innen und außen unter Ausnutzung der “Schornsteinwirkung” Luft zugeführt werden konnte und damit die bestmögliche Verbrennung des Öls gewährleistet war. Ein über die Flamme gestülpter Glaszylinder sorgte für ein ruhiges und gleichmäßiges Licht. Argand schuf auch einen Mechanismus, mit dem sich der Docht heben und senken, d. h. verlängern und verkürzen ließ und damit Einfluß auf Lichtintensität und Verbrauch erlaubte.
Neben dem allgegenwärtigen Kerzenlicht waren die Öllampen des Argand im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitet. Ihren Höhepunkt erreichte ihre Entwicklung mit der Konstruktion der ersten Petroleumlampe durch den Amerikaner Benjamin Silliman im Jahr 1855. Von 1860 bis zur Jahrhundertwende fand die Petroleumlampe weiteste Verbreitung auch in Europa, wo sie zumindest in den städtischen Haushalten Öllampen und Kerzen rasch verdrängte. Auch sie blieb jedoch innerhalb der traditionellen Beleuchtungstechnik verhaftet, weil sie eine weiterentwickelte Öllampe blieb. Die eigentliche Moderne in der Geschichte der Beleuchtung setzt erst ein mit der Anwendung technisch-industrieller Verfahren wie Gaslicht und Elektrizität, die zeitgleich mit dem Höhenflug der Petroleumlampe zunehmend den experimentellen Status verloren.
Konstruktion und Form der Petroleumlampe waren gleichermaßen funktionell wie ästhetisch. Fuß und Brennstoffbehälter unseres Exemplares sind ineinander verschachtelt und werden optisch nur durch einen schmalen Messingring getrennt; ihre Gestalt ähnelt einer Vase oder einem Pokal. Sie sind aus schlichtem milchigweißem Porzellan gefertigt, das nur mit zwei muschelförmigen Verzierungen versehen ist. Der Lampenschirm besteht dagegen aus leicht verziertem Milchglas, das in der Mitte eine kleine Öffnung enthält, durch die der Glaszylinder hindurchgesteckt werden konnte. In ihrem Aufbau ähnelt sie also sehr den Argandschen Lampen. Einzig der Behälter ist nun aufgrund des vom Docht leichter aufnehmbaren Petroleums unterhalb und nicht mehr oberhalb des Brenners angebracht, und zwar so, daß er keinen störenden Schatten warf. Diese Lampen wurden daher auch “Sinumbra-Lampen” genannt (eine Wortschöpfung aus sine umbra, d. h. “ohne Schatten”).
Die Petroleumlampe wurde fast ausschließlich als Tischlampe verwendet. Die “altväterische Behaglichkeit, die sie ausstrahlt” (Wechssler-Kümmel: 134), kam dem bürgerlichen Repräsentationsstreben der Gründerzeit entgegen. Die Trennung von Wohnung und Arbeitsstätte im Zuge der industriellen Entwicklung während des 19. Jahrhunderts hatte zudem zu einem neuen Bewußtsein gegenüber den Formen des Wohnens geführt. Die private Existenz im häuslichen Wohnraum gewann umso mehr an Bedeutung, als das öffentliche Leben zunehmend mit den – auch negativen – Folgen der Industrialisierung konfrontiert wurde. Die Stilisierung der bürgerlichen Wohnkultur machte auch vor der Beleuchtung bzw. den Beleuchtungsgeräten nicht Halt. Da deren Technik ihrer Gestalt relativ enge Grenzen setzte, gewannen ihre Verzierungen mehr und mehr an Bedeutung. Die großbürgerliche Kitsch- und Prunk-Sucht der Gründerzeit und der wilhelminischen Ära findet ihre Entsprechung in den oft überladenen und historisierenden Lampen der Zeit.
Da die hier beschriebene Petroleumlampe eine vergleichsweise schlichte Gestalt aufweist, läßt sich vermuten, daß ihre Entstehungszeit relativ früh anzusetzen ist, d. h. etwa um 1860/70. Auch gemahnt ihre Formensprache eher an die bescheidenere Bürgerwelt des Biedermeier, in der Dekor und äußerer Schein noch keine vorherrschende Rolle spielten.
Unsere Lampe ist jedoch keineswegs allein ein historisches Objekt, das Geschichten aus der Vergangenheit erzählt. Nostalgische Reminiszensen an vergangene, “gute, alte Zeiten” sind zu einer wesentlichen Kulturstimmung unserer Tage geworden. So nimmt es nicht wunder, daß so manche Petroleumlampe noch heute als modisches Accessoire Eingang in die Wohnkultur findet. Nicht nur auf Flohmärkten oder im Antiquitätenhandel wird sie gesucht und gefunden, in zumeist elektrifizierter Form gehört sie noch immer/wieder zum Angebot der Lampenindustrie. “Das späte 19. Jahrhundert, ab etwa 1870, erfreut sich deshalb nostalgischer Wertschätzung, weil vom vermeintlich ‘unschuldigeren’ Stand der Produktionsmittel auf vermeintlich kommensurablere Lebensqualität geschlossen und so die Welt unserer Urgroßväter als gemütlich und überschaubar erfahren wird” (Fischer 1980: 209). Ob diese Hinwendung zu den Stilmitteln vergangener Lebenswelten nun als bürgerliche Fluchtbewegung vor der Unübersichtlichkeit der Gegenwart oder als Ausdruck eines individuellen Lebensstils bzw. als Emanzipationsbestrebungen von der Massenware anzusehen ist, kann und soll hier nicht diskutiert werden. Sicher ist aber, daß selbst ein kulturgeschichtlich nebensächlich erscheinender Gegenstand wie eben eine Petroleumlampe aus dem 19. Jahrhundert sich als Objekt mit mehreren Bedeutungsebenen entpuppen kann. Gerade weil sie als Relikt der Vergangenheit im Museum steht und zugleich Dekor moderner, heutiger Wohnwelten ist, entfaltet sie eine eigene Symbolik.
Wilfried Wördemann
Literatur:
Fischer, Volker, Nostalgie. Geschichte und Kultur als Trödelmarkt. Luzern und Frankfurt/M. 1980
Rebske, Ernst, Lampen, Laternen, Leuchten. Eine Historie der Beleuchtung. Stuttgart 1962
Schivelbusch, Wolfgang, Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1986
Wechssler-Kümmel, Sigrid, Schöne Lampen, Leuchter und Laternen. Heidelberg, München 1962
Wietek, Gerhard, Altes Gerät für Feuer und Licht. Oldenburg [1964]
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