Das Objekt des Monats, eine Schreibgarnitur, auch “Schreibzeug” oder “Tintenzeug” genannt, zählt zu den überlebten Gebrauchsdingen vergangener Tage. Im Schnittpunkt von Kunst- und Sozialgeschichte gelegen, zeigt sich das damals wohl kaum reflektierte Kulturgut aus heutiger Sicht als Indikator sich wandelnder Lebensbedingungen und -bedürfnisse.
Die Porzellanmarke auf der Unterseite der Schale (KPM) weist es als aus der “Krister Porzellan-Manufaktur” in Waldenburg/Schlesien stammend aus. Eruieren ließ sich deren Gründungsdatum (1831), das Produktionsprogramm (Seriengeschirre, Kaffee- und Tafelservice und Geschenkartikel) sowie die Übernahme der Manufaktur in die 1879 gegründete Rosenthal-Porzellan-Aktiengesellschaft, die gegenwärtig als größte deutsche Porzellanfabrik gilt.
Die Bezeichnung besteht aus einem blauen Stempel unter Glasur, eine Verfahrensweise, die von den Rosenthal-Werken bis zum Ende des 1. Weltkrieges beibehalten wurde. Die hier vorliegende Marke (fast alle Porzellanhersteller verwendeten verschiedene Stempel) weist aber auf ein wesentlich älteres Entstehungsdatum hin. Sie ist so gestaltet, daß sie leicht mit einer anderen Porzellan-Manufaktur-Marke verwechselt werden kann, nämlich mit dem “KPM” der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin, die eine ähnliche Marke (KPM mit Zepter) von 1837 bis 1844 verwendete. Da Nachahmungen dieser Art auch bei anderen Porzellan-Manufakturen der Zeit zu finden sind, läßt sich vermuten, daß die Möglichkeit der Verwechslung durchaus ins Kalkül kleinerer Hersteller paßte, konnte man doch auf diese Weise vom Bekanntheitsgrad der Konkurrenz profitieren.
Die Porzellan-Marken waren letztlich auch aus dieser Konkurrenz heraus entstanden. Lange Zeit hatte man sich in fürstlichen und privaten Haushalten mit Steinzeug-, Zinn-, Glas-, Metall- oder Holzgeräten begnügt. Mit der Erfindung des ersten europäischen Porzellans (einem durch Brennen hergestellten feinkeramischen Erzeugnis aus einem Gemisch aus Kaolin, Feldspat und Quarz) und der Errichtung der ersten europäischen Porzellan-Manufaktur 1710 in Meißen begann eine stürmische Entwicklung in der Herstellung von Gebrauchsgegenständen wie auch technischen Erzeugnissen und künstlerischen Werken aus diesem Material. Obwohl die Meißener durch Abschottung und eine Kontrolle der Mitarbeiter versuchten, das Geheimnis ihrer Produktion zu bewahren, kam es doch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu einem wahren Gründungs-“Boom” solcher Manufakturen. In Meißen wurde daher 1722 mit der Markierung des Porzellans begonnen, um damit Originalität und Qualität zu gewährleisten.
Zu den häufig hergestellten Produkten der Manufakturen gehörten vor allem im 18. und 19. Jahrhundert Schreibgarnituren wie das hier vorgestellte. Die Schreibgeräte selbst sind dabei wesentlich älter. Tintenmixturen existierten bereits in der Antike. Die Schreibfeder (zumeist ein Gänsekiel) tauchte als “Penna” erstmals im Frühmittelalter auf. Klösterliche Skriptorien standen im Mittelpunkt der mittelalterlichen Schriftkultur, was von diesen durchaus auch als Ausdruck ihrer Macht und Bedeutung verstanden und praktiziert wurde. Sie wachten streng über ihr Wissen, schirmten es gegenüber der “Masse” des Volkes ab. Dem Nicht-Schriftkundigen erschienen daher die Kunst des Schreibens bzw. ihre Ergebnisse als eine Art Mysterium, der Verehrung würdig, aber auch Angst und Widerstand auslösend. Hinter dem Geschriebenen sah man über das rein Materielle und Sinnliche hinaus magische Kräfte wirken. In der älteren volkskundlichen Literatur finden sich viele Hinweise auf die Rolle der Schrift und ihrer Inhalte in Glauben und Aberglauben des Volkes. Ob man diese Aussagen über die magische Bedeutung von Buchstaben, Worten, Texten, beschriebenen Zetteln oder Amuletten heute noch uneingeschränkt ernst nehmen sollte, sei hier einmal dahingestellt. Auch aus der Region gibt es solche Beispiele: “So wird im Oldenburgischen dem Kind vor der Taufe ein Gesangbuchblatt unter die Zunge oder unter dem Arm gelegt und ein Vater unser ihm in den Mund gesprochen, damit es frühzeitig sprechen lerne…” (Bertholet 1949: 26).
Zu Beginn der Neuzeit hatte sich die Welt so weit gewandelt, daß die Schreibfähigkeit nicht mehr allein ein Privileg gelehrter Mönche bleiben konnte. Auch die weltliche politische Macht und vor allem das Bürgertum der erstarkten Städte bemächtigten sich der Kunst des Schreibens. Neben einer sich entwickelnden Briefkultur führte der wachsende praktische Gebrauchswert der Schrift im Zeichen des Handels, der Verwaltung oder auch der Justiz (Anschreibebücher, Rechnungen, Kaufverträge, Verordnungen, Rechtssetzungen etc.) seit dem 16./17. Jahrhundert zu einer ungemeinen Ausweitung des privaten und mehr noch des professionellen Schreibens. Das Schreiben hatte damit eine Schlüsselstellung in der Bewältigung und Organisation des alltäglichen wie auch öffentlichen Lebens erlangt.
Jüngste Forschungsergebnisse legen nahe, daß Tinte, Tintenfaß und Feder weitaus früher und häufiger im Umkreis des “gemeinen Mannes” und im vermeintlich schriftlosen ländlichen Raum anzutreffen waren, als bisher angenommen wurde. Schreibgarnituren aus Porzellan gehörten ob ihres höheren Preises jedoch eher zu den Attributen adeliger und bürgerlicher Lebenswelten. Sie versinnbildlichen das Bemühen, Tinte und Feder als vorherrschende Schreibgeräte ein der wachsenden Bedeutung des allgemeinen Schreibvermögens angepasstes Gepräge zu geben: Die Kultivierung der Schrift wirkte auch auf die Kultivierung der Schreibgeräte ein. So spiegelt dieses Schreibzeug durchaus manches ihrer Epoche wieder: neue Rohstoffe und Fertigungsweisen, veränderte und gewachsene Ansprüche an die schriftliche Kommunikation, nicht zuletzt auch die Einflüsse modischer Trends.
Die Schreibtische gegenwärtiger Kultur sehen natürlich anders aus als in den Kanzleien und Kontoren des 19. Jahrhunderts. Das ständige Nachschneiden der schnell abnutzenden Federspitzen, das Ablecken der sich in Deutschland um 1850 etablierenden gefetteten Stahlfedern, die allgegenwärtigen Tintenspritzer, der immer wieder zu unterbrechende Schreibfluß, das mühsame Auskratzen der Fehler gehören als Kennzeichen historischen Schreibens der Vergangenheit an. Tintenfaß und Feder wurden im Lauf der Zeit entbehrlich; die Geschichten um sie jedoch nicht. Martin Luther’s Wurf mit dem Tintenfaß an die Wand, mit dem er den Teufel treffen wollte, wird eng mit dem Beginn der neuhochdeutschen Gemeinsprache verbunden bleiben. Auch der “Tintenheini” aus den alten ABC-Fibeln wird wohl noch lange an die Mühseligkeit des Schrifterwerbs erinnern. Der Text zu diesem “Objekt des Monats” beruht auf Kugelschreibernotizen und anschließender Reinschrift mit dem Computer. Beim Vergleich läßt sich erahnen, welch folgen- und facettenreiche geistige und formale Schöpfung die Erfindung und Entwicklung von Schrift und Schreibgeräten darstellt.
Wilfried Wördemann
Literatur:
Bertholet, Alfred, Die Macht der Schrift in Glauben und Aberglauben. Berlin 1949. (Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Philosophisch-historische Klasse; Jg. 1948, Nr. 1).
Danckert, Ludwig, Handbuch des Europäischen Porzellans. München 1954.
Graesse, Johann G. Th., Führer für Sammler von Porzellan und Fayence, Steinzeug, Steingut usw. Umfassendes Verzeichnis der auf älterem und neuerem Porzellan, Fayence, Steingut usw. befindlichen Marken von J. G. Th. Graesse und E. Jaennicke. Umgearb. von E. Zimmermann. Letzte Neubearb. von Arthur und Luise Behse. 25. erw. Aufl. München 1982.
Glück, Helmut, Schrift und Schriftlichkeit. Eine sprach- und kulturwissenschaftliche Studie. Stuttgart 1987.
Heinemeyer, Elfriede, Schreibgarnituren aus der Sammlung Kommerzienrat F. Soennecken. Cloppenburg 1991. (Materialien zur Volkskultur nordwestliches Niedersachsen; H. 17).
Huber, Jürg-Peter, Griffel, Feder, Bildschirmstift. Eine Kulturgeschichte der Schreibgeräte. Aarau 1985.
Wördehoff, Bernhard, Tinte vom Faß. Das gab’s doch mal – Dinge, die aus unserem Alltag verschwunden sind. In: Die ZEIT Nr. 7, 12.02.93.
Ziessow, Karl-Heinz [u. a.], Hand-Schrift – Schreib-Werke. Schrift und Schreibkultur im Wandel in regionalen Beispielen des 18. bis 20. Jahrhunderts. Cloppenburg 1991. (Materialien zur Volkskultur nordwestliches Niedersachsen; H. 16).
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