Das “Objekt des Monats” ein Posthausschild, spiegelt wie nur wenige andere Sachquellen die jeverländische Geschichte zwischen 1793 und 1806 wider, die Zeit als Erbherrschaft unter der Herrschaft der russischen Zaren. Dieses – wie bis zur Einführung von Zinkgußschildern in der Mitte des 19. Jahrhunderts üblich – hölzerne Wappenschild wurde wahrscheinlich 1805 im Auftrag des Postmeisters Hinrich Gerhard Krieg (1759 – 1811) hergestellt und kennzeichnete das 1804 in die St.-Annen-Straße verlegte Posthaus in Jever nach außen.
Dargestellt ist in veränderter Form das russische Wappen mit der Unterschrift “Russisch Kayserl. Post-Amt”: ein Doppeladler, dessen Köpfe jeweils mit einer Spangenkrone, der russischen Zarenkrone, gekrönt sind. Vom Betrachter aus gesehen hält die linke Kralle das russische Zepter, die rechte den Reichsapfel. Zwischen den beiden Köpfen schwebt die russische Krone. Insoweit entspricht die Darstellung dem in der zeitgenössischen heraldischen Literatur beschriebenen Wappen der Zarin Katharina II. Im Unterschied zum russischen Wappen trägt der Adler aber auf der Brust nicht das von der Kette des Andreasordens umgebene Moskauer Schild mit dem heiligen Georg als Drachentöter. Ebenfalls fehlen auf den Flügeln des Adlers die sechs Provinzialwappen von Kiew, Nowgorod, Astrachan, Wladimir, Kasan und Sibirien, die aber auf verschiedenen russischen Wappendarstellungen vom Ende des 18. Jahrhunderts, z.B. auf mehreren Regimentsfahnen der Jahre 1797/98, weggelassen wurden. Anstelle des herkömmlichen Brustschildmotivs ist ein großes A angebracht, das für den seit 1805 regierenden russischen Zaren Alexander I. steht. Eine analoge Veränderung findet sich auf der Fahne des Großfürsten Konstantin, des Bruders Alexanders I., der Statthalter des seit 1815 mit Rußland in Personalunion verbundenen Königreichs Polen (“Kongreß-Polen”) war. Hier wurde das russische Brustschild durch das polnische Wappen ersetzt.
Die Unterschiede zwischen dem russischen Wappen und dem Wappen auf dem Jeverschen Postschild lassen sich durch das besondere staatsrechtliche Verhältnis des Jeverlandes gegenüber Rußland erklären. Im Jahre 1667 hatte Graf Anton Günther von Oldenburg die Herrschaft Jever mit der Maßgabe an seinen Neffen Johann von Anhalt-Zerbst vererbt, es fortan in männlicher und weiblicher Linie vererben zu können. Die männliche Zerbster Linie starb 1793 mit dem Tode Friedrich Augusts von Anhalt-Zerbst aus. Anhalt-Zerbst selbst wurde zwischen Anhalt-Bernburg, Anhalt-Köthen und Anhalt-Dessau aufgeteilt, während die Erbherrschaft Jever als Kunkellehen, d.h. als auch in weiblicher Linie vererbbares Lehen, an die mittlerweile als russische Zarin Katharina II. regierende Zerbster Prinzessin Sophie Auguste fiel. Sie setzte die aus der Linie Anhalt-Bernburg stammende Witwe des verstorbenen Fürsten, Friederike-Auguste-Sophie, als “kaiserlich russische Statthalterin ” ein, die die Regierung der Erbherrschaft weiterführte. Das Jeverland wurde also kein Teil Rußlands, sondern befand sich lediglich in einer Personalunion. Die Verbindung wurde nur durch den Herrscher bzw. die Herrscherin hergestellt, staatsrechtlich hatte beide Territorien nichts miteinander zu tun.
Gleichermaßen hatte die russische Post keinerlei Verbindung zum Jeverland. Die Jeverschen Postverhältnisse waren ähnlich diffus wie das Postwesen im gesamten Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Obwohl ursprünglich die Post eine alleinige Reichssache gewesen war, deren Geschäfte die Familie Taxis betrieb, entwickelte sich vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg eine konkurrierende Posthoheit verschiedener Reichsstände. In seinem Wahlversprechen von 1658 mußte Kaiser Leopold I. anerkennen, daß Territorien mit landesherrlichem Postregal keine Nachteile erleiden durften. Der oldenburgische Graf Anton Günther ließ 1650 eine eigene reitende Post von Aurich nach Oldenburg einrichten, an die Jever angeschlossen war. Ab 1741 führte eine oldenburgische Reitpost direkt von Oldenburg über Varel nach Jever, hinzu kam eine ostfriesische Botenpost von Wittmund nach Jever. Die Tarife waren nicht einheitlich, sondern für jeden Ort gesondert berechnet. Die Post wurde nicht täglich befördert, sondern nur am “Posttag”, der z.B. bei der erwähnten Botenpost zweimal wöchentlich angesetzt war.
Bereits seit 1661 gab es in Jever eine Niederlassung der oldenburgischen Post. Hinrich Gerhard Krieg, der Auftraggeber des Posthausschildes, wurde 1798 von Johann Georg von Hendorff, der die Konzession für den Betrieb des oldenburgischen Postwesens besaß, als Postverwalter in Jever eingestellt. 1799 wurde er von der Regierung in Jever zum Regierungsregistrator und Copisten bestellt.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gab es in allen Ländern Deutschlands, vor allem unter fiskalischen und militärischen Aspekten, die Tendenz zur Verstaatlichung der Post. So wurde im Herzogtum Oldenburg nach dem Tode v. Hendorffs 1800 das Postwesen von staatlicher Seite organisiert. Krieg wurde als Postverwalter in Jever, aber nicht in den oldenburgischen Staatsdienst übernommen. Im Rahmen seiner Tätigkeit versuchte er durch Reformen das Postwesen in Jever zu erneuern. Er entwickelte Pläne für eine staatliche Landbotenpost und Fahrpost zwischen Jever und Wittmund bzw. Jever und Oldenburg. Nach der Bestellung Kriegs im Mai 1804 zum Kaiserlich russischen Postmeister für die Herrschaft Jever wurde im August 1804 eine Postordnung für die Erbschaft Jever erlassen, die die Post- und Frachttarife festlegte und die Übernahme der Landbotenpost in herrschaftliche Regie regelte. Obwohl noch 1808 der Weg Zwischen Jever und Wittmund von den Amsterdamer Prediger Hebelius Potter als “wirklich erbärmlich schlecht” beschrieben wurde, konnte im Mai 1805 das schon seit 1775 diskutierte Projekt einer zweimal wöchtlich verkehrenden Fahrpost zwischen Jever und Wittmund realisiert werden, die von der preußischen und der jeverschen Post auf gemeinsame Rechnung getragen wurde. Die Ernennung Kriegs zum Postmeister durch die Regierung in Jever kam in den Bezeichnungen des Postamtes zum Ausdruck. Nannte es sich 1803 noch “Herzogl. Oldenburgisches Post-Comtoir” und 1804 “Jeversches Postcomtoir”, so fungierte es 1805 bereits als “Russisch-Kayserliches Postamt”. In diesem Zusammenhang entstand das beschriebene Posthausschild mit der entsprechenden Aufschrift. Ähnlich bezeichneten sich die hannoverschen Postämter nach 1815 als “Königlich Großbritannisches Hannoversches Post-Amt”, da der englische König gleichzeitig König von Hannover war, wenn auch dadurch Hannover nicht Teil Großbritanniens wurde.
Mit dem 1. Januar 1806 endete der zusätzliche Dienst Kriegs für die oldenburgische Post, da sich Oldenburg durch die Übernahme der Landbotenpost in Staatsregie in seinen althergebrachten Rechten beeinträchtigt sah. Er wurde durch einen oldenburgischen Postverwalter, Peter Wilhelm Friedrich Hansen, mit Sitz in Jever ersetzt, mit dem es schnell zu Konflikten kam. Hansen umging fortan den Postmeister Krieg und übergab die oldenburgischen Postsachen dem Landboten direkt, der wiederum die für Oldenburg bestimmte Post Hansen und nicht Krieg auslieferte. Die Einnahmen der Jeverschen Post wurden durch dieses Verfahren in erheblichem Maße geschmälert.
Im Jahre 1807 kam das Jeverland durch den Tilsiter Frieden und den Vertrag von Fontainebleau an das Königreich Holland. Die holländische Regierung beließ es im neuen Department “Oostvriesland” trotz aller Vorsätze und Planungen bei den alten Zuständen in der Postverwaltung. Auf Verlangen der holländischen Regierung wurde jedoch die oldenburgische Post in Jever aufgehoben, Hansen nach Neuenburg versetzt und Krieg die Möglichkeit gegeben, die Taxen für die Landbotenpost drastisch zu erhöhen. Die Schilder an den Posthäusern wurden ebenfalls ausgewechselt. Für das bis dahin preußische Ostfriesland ist belegbar, daß Schilder lediglich mit dem Posthorn, dem Ortsnamen und der Aufschrift “Postamt” in Gebrauch waren. Erst als 1810 das Jeverland französisch wurde und dem Department de l’Ems Oriental zugeteilt wurde, kam es mit dem Dekret vom 18. Oktober 1810, das das Postwesen nach französischen Verhältnissen regelte, zu nachhaltigen Veränderungen.
Die Posthausschilder wechselten abermals, diesmal zeigten sie für die Personenpost – wie in Rethem (Aller) nachgewiesen – den französischen Adler mit der Aufschrift “Empire Francais – Poste aux Chevaux”. Eine solche Post existierte seit 1812, verwaltet vom Gastwirt de Boer, in Jever. Krieg war bis zu seinem Tode 1811 als kaiserlich-französischer Postdirektor tätig. Dieses Amt führte seine Frau Wendelina Krieg (um 1776 – 1820) weiter, auch nachdem 1813 der russische Zar das Jeverland wieder in Besitz genommen hatte, dem oldenburgischen Herzog Peter Friedrich Ludwig als “regierenden Landes-Administrator von Oldenburg” bis zur endgültigen Abtretung 1818 an Oldenburg die Verwaltung übergab und das Jeverland somit in das oldenburgische Postwesen einbezogen wurde.
Es zeigt sich, daß bis hinunter auf die lokale Ebene die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eine Umbruchzeit war. Wir wissen bis heute noch zu wenig über die Alltagswirklichkeit in Jever, z.B. wer, wie, wann und warum die Einrichtungen der Post benutze. Das gilt ebenso für die Biographie Kriegs selbst, dessen Wirken als Mitinhaber eines Lotteriehandels und Mitglied der Freimaurerloge über das Postwesen hinausging. Obendrein sind die angesprochenen biographischen, heraldischen, rechts- und verkehrsgeschichtlichen Fragen in ihrem wechselseitigen Zusammenhang nicht untersucht. Die Antwort auf die Frage, in welchem Ausmaß die politischen und institutionellen Veränderungen in den Alltag der damals lebenden Menschen einschnitten, muß also späteren Forschungen vorbehalten bleiben.
Joachim Tautz
Literatur:
Eßlinger, C.: Das Postwesen in Ostfriesland in der Zeit von 1744 bis 1806. Aurich 1908
Orth, Friedrich/Thole, Fritz: 300 Jahre Postamt Jever. In: Postgeschichtliche Blätter Weser-Ems, Bd. 2, 1960/65, S. 133-144
Rüthning, Gustav: Geschichte der oldenburgischen Post. Oldenburg 1902
Scheer, Hermann: Die Herrschaft in Jever unter Anhalt-Zerbstischer Verwaltung. In: Oldenburger Jahrbuch 29, 1925, S. 202-215
Thole, Fritz: Ostfriesland und Jever im Königreich Holland (1806-10). In: Pstgeschichtliche Blätter Weser-Ems, Bd. 1, 1955/59, S. 179-180, 200-202, 233-235; Bd. 2, 1960/65, S. 18-20, 65-68
(Zuerst erschienen als Objekt des Monats Nr. 57, 1993) © Schloßmuseum Jever