“Kraantjekanne” aus Jever [08]

kkanna1Kränchenkanne, Zinn mit drei erneuerten Messingkränen, Gesamthöhe 40,5 cm.

In seiner Schrift “Reise in die Morgenländer” berichtet der Augsburger Arzt Leonhart Rauwolff 1582 von einem seltsamen heißen Trunk, den die Türken und Araber zu sich nähmen. Er sei “gar nahe wie Tinte so schwarz” und würde “Chaube” genannt. Damit hatte Rauwolff als einer der ersten in Europa auf ein Getränk aufmerksam gemacht, das in den folgenden Jahrhunderten nicht wenige Veränderungen in der abendländischen Kultur bewirken sollte und zu einem festen Bestandteil unserer alltäglichen Nahrung geworden ist: der Kaffee.

Noch um 1650 war dieses Getränk in der Alten Welt weitgehend unbekannt. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aber begann es, anfänglich als Heilmittel gepriesen, zusammen mit anderen Genußmitteln wie Tee, Schokolade und Tabak den europäischen Markt zu erobern. Von den Orten des sich ausdehnenden Welthandels – im Norden vor allem London und Amsterdam – gelangte das exotische Getränk an die Fürstenhöfe und in die entstehenden Kaffeehäuser des aufstrebenden, weltoffenen Handels- und Bildungsbürgertums.

In wenigen Jahrzehnten schon, um 1700, hatte sich der Kaffee als Genußmittel etabliert, blieb jedoch zunächst noch als teures Luxusgetränk den wohlhabenden Schichten vorbehalten. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts aber erfuhr der Kaffee eine enorme Popularisierung und wurde auch der ländlichen Bevölkerung zugänglich. Im ostfriesischen und jeverländischen Raum waren es vor allem die reichen Marschbauern, die sich wie in vielen anderen Dingen so auch im Genuß des Kaffees am städtischen Bürgertum orientierten.

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts verbreitete sich das Kaffeetrinken dann zunehmend in den unteren Bevölkerungsschichten. Der vermehrte Import dieser Ware aus den europäischen Kolonien sowie ein allgemein steigender Wohlstand hatten das Getränk auch für breitere Bevölkerungskreise erschwinglich werden lassen. Zudem waren die billigen Ersatzstoffe, vor allem der seit etwa 1770 fabrikmäß hergestellte Zichorienkaffee, ein wichtiges Moment für das Bekanntwerden des Kaffees. Mit diesen Ersatzstoffen konnten es die weniger Begüterten den Wohlhabenden zumindest dem Scheine nach gleichtun.

Das neue Getränk, für die unteren Schichten eben vor allem der Ersatzkaffee, trat zunehmend an die Stelle des allgegenwärtigen Bieres und anderer flüssiger Nahrungsmittel. Und schon 1820 konnte Friedrich Arends für das Jeverland feststellen: ” Das Frühstück besteht selten noch aus Brei, gewöhnlich aus Thee oder Kaffee mit Butterbrod, häufig auch eben so das Abendbrod, besonders im Winter. Kaffee trinkt man viel im Jeverschen, gewöhnlich dreimahl täglich.”

Mit dem Aufkommen der neuen Genußmittel veränderten sich aber nicht nur die Nahrungsgewohnheiten, die bis dahin völlig unbekannten Heißgetränke verlangten auch nach anderen Gefäßen für ihre Zubereitung und Aufnahme. Während die für den Tee in den Herkunftsländern dieses Genußmittels schon ausgeprägte Tafelkultur weitgehend übernommen wurde, entwickelte sich das europäische Kaffeegeschirr aus den für die üblichen Kaltgetränke wie Bier und Wein verwendeten Krügen und Bechern.

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Kennzeichnungen im Innern der “Kraantjekanne”

Wiesen die ersten Kaffeekannen noch eine konische Form auf, so setzte sich mit Beginn des 18. Jahrhunderts eine bauchige, birnenartige Grundform durch. Auch die 1789 signierte “Kraantjekanne” (so benannt nach den auffälligen Ausgußhähnen) aus der Werkstatt des jeverschen Zinngießers Johann Heinrich Tiarks (1759-1821) zeichnet sich durch diese bis heute gültige Form aus.

Die Aufnahme des Kaffees durch breitere Bevölkerungskreise hatte dem Zinngießerhandwerk einen neuen Markt eröffnet. Waren die frühen Kaffeekannen, auf das Privileg des Genusses dieses Getränkes verweisend, aus Silber oder dem noch teuren Porzellan gefertigt, so wurden bald Zubereitungsgefäße aus erschwinglichem Material gefordert. Mit dem leicht verarbeitbaren Werkstoff Zinn konnte diesem Bedürfnis entsprochen werden. Es war beständig gegen einen raschen Temperaturwechsel, nicht so leicht zerstörbar wie Glas oder Keramik und konnte als Altzinn in Zahlung gegeben oder dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend umgeschmolzen werden.

Als Gebrauchs- und Prunkgeschirr hatte Zinn schon früh Eingang in den bürgerlichen Haushalt gefunden. Auf den Tafeln und Anrichten mußten die blankpolierten Schüsseln, Krüge, Kannen und Teller oftmals das unbezahlbare Silber ersetzen. Im bäuerlichen Haushalt kam das Zinngeschirr, das im Vergleich zum hölzernen und irdenen Geschirr immer noch sehr teuer war, erst im 18. Jahrhundert in größeren Mengen auf – im norddeutschen Raum zunächst vor allem auf den großen Marschhöfen. Auch hier sollte über eine reiche Sammlung solcher Gegenstände die Wohlhabenheit des Besitzers zum Ausdruck gebracht werden.

Die “Kraantjekanne” des jeverschen Zinngießers, im Innern mit der Engelsmarke als aus reinem Zinn bestehend ausgewiesen, konnte solchen Ansprüchen durchaus genügen. Mit ihrem bauchigen, ebenmäßig gearbeiteten Körper, dem hochgewölbten glockengleichen Deckel und den geschweiften, in schneckenhafter Rundung auslaufenden Henkeln und Beinen entspricht sie derjenigen barocken Kannenart, die im 18. und auch im 19. Jahrhundert noch in oft nur geringfügiger Abwandlung im niederländischen und nordwestdeutschen Raum vielfach produziert und verwendet worden ist. Nur die Kräne, von unglücklicher Hand wohl später erneuert, stören das sonst einheitliche Bild.

Wenn sich im Stil dieser Kanne der Geschmack ihrer Zeit auch Eingang verschafft hat, so bleibt doch alles dem Praktischen untergeordnet und auf Funktionalität hin angelegt: Die den Kannenkörper tragenden Beine ermöglichen das Unterstellen einer Wärmequelle, zumeist ein metallenes Auffangbecken für glühende Kohlestückchen oder Petroleum, die beiden Henkel ein sicheres Aufsetzen der Kanne und die Drehkräne eine Entnahme des Getränks, die ein Aufwirbeln des abgelagerten Kaffeesatzes vermeidet.

Aber die Ausstattung der “Kraantjekanne” verrät uns nicht nur ihre Handhabung, die den Besonderheiten des Getränkes entspricht. Sie verweist uns zugleich auf ihren sozialen Gebrauch. Im Gegensatz zur Schenkkanne und auch mehr noch als die einkranige ist diese dreikranige Kanne für einen festen Ort, den Kaffeetisch vorgesehen. Und dort aufgestellt mußte wohl beständig die Aufforderung von ihr ausgehen, sich um sie einzufinden, nach Belieben die Tasse zu füllen und einige Zeit beim Genuß des warmgehaltenen Kaffees gesellig zu verbringen.

Auf seinem Weg von der Öffentlichkeit des Kaffeehauses in die private Sphäre des bürgerlichen und bäuerlichen Haushaltes hat dieses Getränk kulturelle Gebilde hervorgebracht, die sich bis heute neben der gewöhnlichen Kaffeemahlzeit erhalten haben: die Kaffeerunde und das Kränzchen. Kaffee war zum Symbol häuslicher Beschaulichkeit geworden.

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Clevernser Bauernfrauen am Kaffeetisch. Gemälde von Friedrich Wilhelm Barnutz (1791-1867), 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Welche Bedeutung bei solchen Zusammenkünften noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Getränk selbst sowie der “Technik” seines Genusses zukam, das vermittelt uns auf amüsante Weise ein Bild des jeverschen Malers F.W. Barnutz (1791-1867). Bis auf eine seiner um die “Kraantjekanne” gruppierten “Clevernser Bauernfrauen” sind alle bestrebt, die beim Kaffeetrinken nur möglichen Tätigkeiten, Haltungen und Gesten vorzuführen. Indem aber der Maler das angestrengte Bemühen zweier Frauen darstellt, auch den letzten Tropfen aus der Kanne herauszuholen, scheint sich sein Spott gegen den Versuch solch trauter Runden zu richten, es den gekünstelten Gepflogenheiten der “feinen Gesellschaft” gleichzutun.

Mit der Bloßstellung dieses Drangs zur Nachahmung trifft Barnutz eine nicht unwichtige Seite des Prozesses, der für die rasche Verbreitung des Kaffees und für die Übernahme der mit ihm verbundenen kulturellen Formen verantwortlich ist. “Kraantjekannen” wie die des Zinngießers Tiark sind Produkte dieses Prozesses und haben an seiner Ausgestaltung mitgewirkt. Verdrängt wurden sie wie das zinnene Geschirr überhaupt durch das Aufkommen des europäischen Porzellans und die zunehmende Einfuhr billigen englischen Steinguts.
Peter Schmerenbeck

Literatur:
Friedrich Arends: Ostfriesland und Jever. III. Bd. Emden 1820
Theodor Kohlmann: Zinngießerhandwerk und Zinngerät in Oldenburg, Ostfriesland und Osnabrück. Göttingen 1972
Volker Rodekamp: Kaffee – Kultur eines Getränks. Ausstellungskatalog. Minden 1987
Wolfgang Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Frankfurt/M.; Berlin; Wien 1983
Egon Viebahn: Bergisches Zinn. Wuppertal 1972
Günter Wiegelmann: Volkskundliche Studien zum Wandel der Speisen und Mahlzeiten. In: Teuteberg, H.J./Wiegelmann, G.: Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten. Göttingen 1972
Hans Wühr: Altes Zinn. Darmstadt 1961

(Zuerst erschienen als Objekt des Monats Nr. 4, 1988) © Schloßmuseum Jever