Mit der Deckelterrine ist eines der schönsten Erzeugnisse erhalten geblieben, die in der Jeverschen Fayence-Manufaktur zwischen 1760 und 1776 hergestellt worden sind. Aus heller Tonerde wurde durch Schlämmen und Kneten in langwieriger Prozedur der Rohstoff gewonnen, der vom Modelleur in die vorgefertigte Gipsform eingepreßt, zu gedrehten Asthenkeln, zu Trauben- und Blumenreliefs geformt werden konnte. Nach einem ersten Brand mit der weißdeckenden Zinn-Glasur überzogen, erhielt der Tonscherben seine vom Maler vorgesehenen Farben, das Kobaltblau für die Trauben, das Grün gemischt für die Äste und Blätter, das Gelb und das Manganviolett für die Blüten. Im scharfen Feuer des zweiten Brandes verbanden sich dann Glasur und Farbe auf dem Ton und gaben dem Scherben den eigentümlichen Glanz der Fayence-Keramiken.
Mit ihrem prunkvollen Dekor war diese Terrine wohl nicht für die zerfurchten Hände bestimmt, die die tonige Erde in anstrengender Tagelöhnerarbeit in den Gruben bei Barkel, einem Ort unweit von Jever, gestochen haben. Bestimmt waren solche Kostbarkeiten für die fürstliche Festtafel, für die Kredenzen der bürgerlichen Stuben oder für die Anrichten der wohlhabenden Bauern. Ihr Platz war vornehmlich der, an dem sie Besitz und geschmackvollen Sinn ihres Besitzers augenfällig werden lassen konnten.
Lange bevor die Fayence-Keramik im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte, war ihre Herstellung bekannt. Schon um 500 v. u. Z. war den Persern die Verwendung der Zinnglasur gelungen, und über Spanien und seinen ehemals bedeutenden Handelsort Mallorca gelangten die Keramik sowie die Kenntnisse ihrer Herstellung nach Italien, wo sie in Anlehnung an eben diesen Handelsplatz ‘Majolika’ genannt wurde. Von dort aus verbreitete sie sich über Europa unter dem Namen ‘Fayence’, der französischen Bezeichnung für die italienische Stadt Faenza, einer der bedeutenden Fabrikationsorte dieser zinnglasierten Irdenware.
Während die Fayence im 16. Jahrhundert noch im kleinen handwerklichen Betrieb hergestellt wurde, entwickelte sich mit dem beginnenden 17. Jahrhundert eine fabrikationsmäßige Produktion, die in den Niederlanden ihren Ausgang nahm. Vor allem die Delfter Werkstätten hatten sich auf die Nachahmung einer Keramik spezialisiert, die als überseeisches Importgut in immer größeren Mengen auf den europäischen Markt gelangte und als ‘weißes Gold’ in unseren Sprachschatz eingegangen ist: das Porzellan. Riesige Geldsummen wurden ausgegeben, um Schlösser, Kunstkabinette und bürgerliche Schausammlungen mit diesen fernöstlichen Raritäten auszustatten. Aber nicht allein das Exotische machte das Porzellan so begehrenswert. Mit seinen besonderen Materialeigenschaften, seiner Dünnwandigkeit und seiner großen Beständigkeit gegen schnellen Temperaturwechsel entsprach es der sich im ganzen verändernden Eß- und Trinkkultur. Denn die zunehmenden Wirtschaftsbeziehungen zu den überseeischen Ländern hatten nicht nur das Porzellan nach Europa gebracht, auch neue Gewürze und Genußmittel eroberten die wohlhabenden Haushalte. Luxusgetränke wie Kaffee, Tee und Schokolade verlangten andere als die dickwandigen Gefäße, die bisher vor allem benutzt wurden. Mit der steigenden Nachfrage nach einer solchen Keramik ging das Bestreben einher, diesen teuren Werkstoff im eigenen Land nachzuerfinden oder ihm möglichst nahezukommen. Unter der Bezeichnung ‘Holländisches Porzellan’ schufen sich die weniger teuren, das chinesische Porzellan imitierenden blau-weißen Fayencen der Delfter Werkstätten in Europa schnell ein zunehmendes Absatzgebiet.
Angesichts des wachsenden Bedürfnisses nach dieser Ware, die bald ein eigenes Formenrepertoire aufwies und aufgrund verbesserter Herstellungsverfahren auch für den bürgerlichen und großbäuerlichen Haushalt erschwinglich wurde, kam es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch in Deutschland zur Gründung der ersten Fayence-Manufakturen. Und im Jahr 1760 richtete der Meißener Porzellanarbeiter und Maler Tönnjes das Gesuch an die Regierung in Jever, eine solche Manufaktur errichten zu dürfen. Ganz im Sinne der merkantilen Bestrebungen des Anhalt-Zerbstischen Fürstenhauses, das die Herrschaft Jever seit 1667 verwaltete, unterstützte der damalige Jeversche Regierungspräsident von Cappelmann das Gesuch mit der Begründung, daß “dadurch vieles Geld sowohl im Lande erhalten als hereingezogen werden möchte.” Denn der für die Fayence-Produktion geeignete Ton, der in den Erdschichten der näheren Umgebung Jevers vorhanden war, war fast das ganze 17. Jahrhundert über vor allem nach Holland ausgeführt worden. Eine Verarbeitung im eigenen Lande hätte wohl mehr Erträge für das Fürstentum abgeworfen. Auch von Cappelmann scheint sich mit seiner finanziellen Beteiligung an dem Vorhaben eine gewinnbringende Investition versprochen zu haben.
Mit einer zusätzlichen Unterstützung durch den Fürsten Friedrich August von Anhalt-Zerbst nimmt die Manufaktur im Sommer 1760 die Arbeit auf dem Stadtwall auf, “um vorerst irden Geschirr und demnächst auch feines Porcellan zu verfertigen.” Auch in der zeitgenössischen Bezeichnung der Manufaktur als ‘Porzellain-Fabrique’ klingt das Bestreben an, die kostbare Keramik nachzuahmen. Produziert wurden ausschließlich Fayence-Waren. Die wenigen erhalten gebliebenen Erzeugnisse verweisen auf die Vielfalt der Produkte, die in der Jeverschen Manufaktur hergestellt worden sind. Neben Terrinen finden sich figürliche Tafelaufsätze, Vasen, zu Schwänen geformte Butterdosen, aber auch ein Tintenfaß und andere Behälter. Während die meisten nachgewiesenen Keramiken im “Delfter” Blau-Weiß gehalten sind, zeichnet sich die ausgestellte Terrine durch ihre leuchtende Farbigkeit aus. Und im Gegensatz zu einer anderen erhaltenen Terrine, deren Gestaltung an Stilelemente des höfischen Barock erinnert, scheint sich diese in ihrer behäbigen und dennoch eleganten Form eher an eine bürgerliche oder bäuerliche Käuferschaft gewandt zu haben, wie sie in der hiesigen Gegend vorherrschend war.
Über Modelleur und Maler dieser Fayence-Terrine wissen wir nichts; was sie uns hinterlassen haben zeugt aber von dem technischen und künstlerischen Vermögen, das auch in der Jeverschen Manufaktur zu finden war. Bedrängt durch das seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in Europa immer preiswerter hergestellte Porzellan sowie durch das aus England massenhaft eingeführte Steingut mußte die Jeversche wie auch viele andere deutsche Fayence-Manufakturen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Betrieb aufgeben.
Peter Schmerenbeck
Literatur:
Fuchs, E./Heiland, P.: Die deutschen Fayencen. München 1925.
Nagel, G.: Fayencen. München 1977.
Riesebieter, O.: Beiträge zur Geschichte der Fayence-Fabrikation in Jeverland und Ostfriesland. Oldenburg 1908.
ders.: Die Fayencefabrik in Jever. In: Der Cicerone. VIII. Jahrgang, Heft 23/24, 1915, S. 419-434.
Fayencen – Ausstellungskatalog der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz. Berlin 1976.
(Zuerst erschienen als Objekt des Monats Nr. 2, 1988) © Schloßmuseum Jever