Laut SPIEGEL Nr. 26/1993 wurde vom Auktionshaus Christie’s in London eine Rechenmaschine (von fünf erhaltenen) des Pfarrers und Instrumentenbauers Phillip Matthäus Hahn (1739-1790) für die astronomische Summe von 19,2 Millionen DM versteigert. Das Schloßmuseum Jever kann zwar mit solchen Schätzen nicht konkurrieren, besitzt jedoch ebenfalls eine Rechenmaschine, deren Wert wohl eher auf ihrer Rolle als Dokument der technischen Kultur der Jahrhundertwende gründen mag.
Zu den wichtigsten Voraussetzungen des Rechnens wie auch der Rechenmaschinen bis hin zum gegenwärtigen Computer gehören Zahlen und Ziffernsysteme. Die Entwicklungsgeschichte historischer Kulturen zeigt, daß jene mit weniger abstrakten Zahlensystemen, wie z. B. dem 5er-System der Römer, bei allen sonstigen Leistungen keine wesentlichen Fortschritte in der Mathematik oder den Naturwissenschaften aufzuweisen hatten. Für das frühe und mittlere europäische Mittelalter gilt dies ebenso. Unsere arabischen Ziffern verbunden mit dem dezimalen Zahlensystem (Zehnersystem) gehen auf eine indische Erfindung des 8. Jahrhunderts n. Chr. zurück. Auf der Grundlage des indischen Zahlensystems, d. h. mit Hilfe der ersten neun Zahlen sowie der Null, entwickelten dann arabische Gelehrte ein reines Stellenwertsystem. Erst relativ spät, zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert, erreichte dieses System über Vorderasien und Spanien auch Mitteleuropa. Von da an jedoch schwingen sich die exakten Wissenschaften zu immer neuen Höhenflügen auf. Vor allem die wissenschaftlichen Entdeckungen im 17. und 18. Jahrhundert, der weithin blühende Handel sowie die komplizierte Steuererhebung regten dazu an, die zeitraubenden Rechenvorgänge in mechanisierter oder automatisierter Form zu vereinfachen.
Um 1600 erfindet der schottische Lord John Napier of Merchiston (1550-1617) die Rechenstäbchen und stellt 1614 eine komplette Logarithmentafel vor. Bald darauf entsteht in England der erste logarithmische Rechenschieber. 1623 konstruiert der Tübinger Professor Wilhelm Schickard (1592-1635) die erste urkundlich belegte Rechenmaschine mit Zahnradantrieb und automatischem Zehnerübertrag. Knapp zwanzig Jahre später (1642) übergibt der französische Mathematiker Blaise Pascal (1623-1662) der Öffentlichkeit eine Rechenmaschine für achtstellige Additionen und Subtraktionen, deren Arbeitsweise der eines Kilometerzählers gleicht. Der entscheidende Fortschritt in der Mechanisierung des Rechnens gelingt schließlich 1673 dem Philosophen, Mathematiker und “Universalgelehrten” Gottfried Wilhelm Leipniz (1646-1716). Ohne Wissen von Schickard und der Zwei-Spezies-Maschine von Pascal entwickelt er eine Vier-Spezies-Rechenmaschine (Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division), für deren Zahlenübertragung ein System von Staffelwalzen sorgt. Damit gibt er der weiteren Entwicklung der mechanischen Tischrechenmaschinen Konstruktionselemente vor, die lange Zeit bestimmend blieben. Erwähnt sei der Vollständigkeit halber auch der englische Mathematiker Charles Babbage (1791-1871) und dessen visionäre Beschreibung eines programmgesteuerten Rechenautomaten aus dem Jahr 1833; er gilt, obwohl persönlich erfolglos geblieben, als der Urvater des elektronisch gesteuerten Rechnens.
All diese (und noch einige spätere) Entwürfe haben gemein, daß sie entweder nur ungenügend funktionierten oder reine Theorie blieben, da sie aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten nicht zur vollen Funktionsfähigkeit gebracht werden konnten. Die industrielle Phase, d. h. die serienmäßige Fertigung der mechanischen Rechenmaschinen, begann 1820 mit einer Konstruktion des Franzosen Charles Xavier Thomas (1785-1870). Er fertigte ab 1821 einen “Arithmométre” genannten Apparat, der auf dem Staffelwalzenprinzip Leipniz’ gründete und zum ersten Mal die Zehnerübertragung technisch perfekt löste. Er gab den Staffelwalzenmaschinen auch ihre im wesentlichen bei allen späteren Geräten aufrechterhaltene Grundform; diese Art Maschinen wurden daher in der Folge “Thomas-Maschinen” genannt. Zunächst erwies sich die Fabrikation jedoch als wenig rentabel, da die hohen Preise das Publikum abschrecken mochten (bis 1878 wurden ca. 1500 Stück gefertigt, dies entspricht heute etwa der Tagesproduktion eines elektronischen Tischrechnermodells).
In Deutschland baute der Ingenieur Arthur Burkhardt ab 1878 die ersten, als “Arithmometer” bezeichneten Thomas-Maschinen. Gegen Ende des Jahrhunderts begann aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung die Nachfrage in starkem Maße zu steigen, so daß schließlich eine ganze Reihe von Betrieben die Fertigung dieser Maschinen aufnahm und eine große Zahl neuer Modelle auf den Markt warf. Nach Karl Lenz gehörten die TIM-Maschinen der Firma Ludwig Spitz & Co. in Berlin-Tempelhof qualitativ zur Spitzengruppe und waren weit verbreitet. Zu den Neuerungen ihres Ingenieurs Robert Rein gehörte dabei z.B. die Konstruktion eines Doppelzählwerkes, das manche Rechnungen erheblich zu erleichtern vermochte; von ihnen gab das eine die einzelnen Zahlen, das andere die Summe der Zahlen an. Die beiden wichtigsten Modelle, die “TIM” und die TIM-Weiterentwicklung “Unitas” mit dem Doppelzählwerk bzw. dem dadurch bedingten Doppellineal wurden bei ihrer ersten Auslieferung 1907 stets in einem Holzkasten mit verschließbarem Deckel geliefert. Ab 1909 wurden sie nur noch in einen Eisenrahmen mit darunter befindlichen Füßen eingebaut, anstelle des Holzkastens und der Lagerplatten aus Messing trat ein gußeisernes Gehäuse mit angegossener mittlerer Lagerplatte. Der besseren Bedienbarkeit wegen erschienen die vorher flachen Geräte nun in einer einer Schreibmaschine ähnlichen Version. Alle lieferbaren Ausführungen, d. h. in der hier vorliegenden Form mit Schiebereinstellung, mit Tasteneinstellung oder mit elektrischem Antrieb, waren in vier verschiedenen Größen lieferbar, wobei unsere Maschine der “Größe II” mit einem 8er Einstellwerk, einem 12er Resultatwerk sowie einem 7er Umdrehungszählwerk entspricht.
Mechanische Tischrechenmaschinen ähnlich dieser waren zumindest bis in die 1950er Jahre hinein im Gebrauch. In diesen Jahren leitete die Erfindung des Transistors so grundlegende strukturelle Veränderungen ein, daß bald das Schlagwort von der “Zweiten industriellen Revolution” die Runde machte. Die “Unitas” und ihre Nachfolge- bzw. Konkurrenzmodelle verschwanden dementsprechend schnell vom Markt. An ihre Stelle in Büro und Schule, Industrie, Handel und Verkehr traten die ungleich leistungsfähigeren elektronischen Tischrechenmaschinen und Taschenrechner unserer Tage.
Wilfried Wördemann
Literatur:
Korte, Bernhard, Zur Geschichte des maschinellen Rechnens. Rede zur 57. Hauptversammlung d. Ges. von Freunden u. Förderern d. Rhein. Friedrich-Wilhelms-Univ. Bonn (GEFFRUB) am 14. Juni 1980. Bonn 1981 (= Bonner Akademische Reden; 54).
Lenz, K[arl], Die Rechenmaschinen und das Maschinenrechnen. Leipzig und Berlin 1915 (= Aus Natur und Geisteswelt; 490).
Martin, Ernst, Die Rechenmaschinen und ihre Entwicklungsgeschichte. 1. Bd.: Rechenmaschinen mit automatischer Zehnerübertragung. 1. Aufl. Pappenheim 1925.
Rechenkunst und Rechentechnik von den mechanischen Anfängen zur elektronischen Gegenwart. Beiheft zur Sonderausstellung im Staatlichen Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Oldenburg vom 01.12.76-30.04.77. Oldenburg o. J.
Strandh, Sigvard, Die Maschine. Geschichte, Elemente, Funktion. Ein enzyklopädisches Sachbuch. Freiburg u. a. 1980.
Vorndran, Edgar P., Entwicklungsgeschichte des Computers. Mit einem Geleitwort von Konrad Zuse. Berlin und Offenbach 1982.
(Zuerst erschienen als Objekt des Monats Nr. 60, 1994) © Schloßmuseum Jever