Das neue Heimatmuseum in Varel [Blog]

Varel ist für einen Großstadtmenschen wie mich, so wie die meisten Orte in Friesland, ein nettes kleines Städtchen. Ich wäre als Touristin oder Durchreisende vielleicht einmal hindurch geschlendert, allerdings ohne viel zu entdecken. Die letzten Wochen haben mich jedoch auf spannende Pfade der Regionalgeschichte geführt.

Mit Varel verbinden sich so einige bemerkenswerte Dinge: Da gibt es die nur 12 Jahre währende Episode einer barocken Planstadt am Hafen, in direkter Nachbarschaft eines der ältesten Strandbäder, Pioniere der Automobil-Industrie, einen Weltmarktführer für Tabakschneidemaschinen, andererseits auch die traurige Tatsache eines besonders frühen und „konsequenten“ Antisemitismus und Nationalismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Das Schlossmuseum Jever unterstützt seit ein paar Jahren den Heimatverein von Varel in seiner Arbeit. Vor Ort engagiert sich ein Team aus erfahrenen Hobbyhistorikern, die ehrenamtlich, aber sehr professionell, die Ortsgeschichte erforschen und ein Zeitungs‑, ein Bild- und das Stadtarchiv betreuen. Das Schlossmuseum verfügt, anders als der Heimatverein, zusätzlich zur geschichtlichen Expertise auch über das Knowhow und die Infrastruktur, um eine zeitgemäße Ausstellung zu konzipieren und umzusetzen. In diesen Prozess des Werdens einer neuen Dauerausstellung konnte ich als MUSEALOGin* für ein knappes Vierteljahr eintauchen.

Eine Ausstellung entsteht

Anlass für das große Projekt ist die 900-Jahr-Feier der ersten urkundlichen Erwähnung Varels. Ein solches Stadtjubiläum, so wenig aussagekräftig ein Urkunden-Datum sein mag, macht manches möglich, bündelt Energien und setzt nicht zuletzt nötige Gelder frei. Mir fiel es zu, das Kellergewölbe des ehemaligen Gasthauses Müller am Neumarktplatz, in dem die neue Ausstellung entsteht, auszugestalten. Thematisch dreht sich hier alles um die Zeit der Industrialisierung und die gesellschaftlichen und lebenspraktischen Umbrüche des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Daran angebunden ist zudem die Geschichte des Vareler Hafens als Wirtschaftsfaktor seit Bestehen der Ortschaft.

Keller

In den letzten zwei Wochen vor Ausstellungseröffnung bin ich vom Keller ins Dachgeschoss gewechselt, wo ein Schaumagazin zusammengestellt wurde. Es zeigt einen Querschnitt durch die breit angelegte Sammlung, die der Heimatverein seit seiner Gründung im Jahr 1921 angelegt hat. Alltägliches, Skurriles, Herrschaftliches aus den letzten Jahrhunderten kann mit den Augen durchstöbert werden. Auch auf Hinterlassenschaften aus der Kolonialzeit stößt man – in einer Hafenstadt nicht verwunderlich; Seeleute haben für sie Interessantes nach Hause mitgenommen. Für uns heute sind solche Gegenstände nicht mehr bloße Mitbringsel, sondern Zeugen teils gedankenlosen, teils übergriffigen, teils gewalttätigen Eindringens und Plünderns und lösen gemischte Gefühle aus.

Schaumagazin

In den beiden Hauptetagen zwischen Dachgeschoss und Keller geht es einmal von der Urzeit bis hinein ins Heute durch die Geschichte Varels und des Umlands – mit Anregungen für Auge und Ohr, zum Nachdenken und zum Schmunzeln.

Nach zwei Jahren Schließzeit sind am 29.9.2024 die Museumsräume am Neumarktplatz mit der neuen Ausstellung wiedereröffnet worden. Ein Besuch lohnt sich!

* MUSEALOG ist ein auf 8 Monate angelegtes Fortbildungsprogramm für Geisteswissenschaftler:innen, die in den Bereich Museumsarbeit und Kulturmanagement einsteigen möchten.

Von Regina Duzy, von Juni 2024 bis Januar 2025 Musealogin am Schlossmuseum Jever