Was ist da los in Jever?
Wie viele Feste und Rituale geht auch das Püttbier auf Traditionen zurück, die sich seit dem Mittelalter ausgebildet haben. Die Wasserversorgung gehörte zu den wichtigsten gemeinschaftlichen Aufgaben einer städtischen Kommune. Öffentlichen Brunnen kam hierbei eine große Bedeutung zu, und so war es auch eine hoheitliche Aufgabe der jeweiligen Obrigkeit, für die Reinheit der Brunnen und ausreichend Wasser Sorge zu tragen.
Diese Versorgung ruhte in Jever jedoch auch noch auf einer genossenschaftlichen Organisation. In sogenannten „Achten“ haben sich die Anwohner und Hausbesitzer eines bestimmten Bezirkes oder Straßenzuges zusammengetan, um für die Instanthaltung des öffentlichen Brunnens zu sorgen. Im 16. Jahrhundert gab es in Jever 16 „publice Pütten“ im Altstadtquartier und 8 in der Vorstadt, die von den Brunnengemeinschaften versorgt wurden. Die Landes- und Stadtherrin Fräulein Maria von Jever (1500-1575) stellte in ihrem Landrecht deren Verunreinigung unter Strafe und forderte jeden Hauseigentümer auf, seine Pütt abzudecken. Mit Pütt ist also ein geschlossener Brunnen gemeint, aus dem mit Hilfe einer Pumpe Wasser genommen wird.
Die Brunnengemeinschaften trafen sich einmal jährlich, um die Angelegenheiten und Zuständigkeiten für die Wasserversorgung zu klären; dieses wurde dann auch schriftlich fixiert. Das älteste Buch, in dem diese Regelungen festgehalten wurden, hat sich für die Püttacht „Wangerstraße“ aus dem Jahre 1720 erhalten. Hier werden auch jährlich wechselnde und gewählte Püttmeister genannt. 1756 regelte die Anhalt-Zerbster Obrigkeit für alle Püttachten die Aufgaben und Zuständigkeit in einer einheitlichen „Jeverschen Brunnenordnung“. Besonderes Augenmerk lag neben der Reinhaltung auch auf der obrigkeitlichen Reglementierung der Gelage, die bei den jährlichen Treffen der Püttachten stattfanden, so bereits 1727 für die Püttacht „Kleine Burgstraße“ belegt.
Diese Zusammenkünfte dienten jedoch nicht nur als Nachbarschaftsfest, sondern waren vielmehr eine Versammlung, auf der die Rechnungslegung und die finanziellen Aufwendungen zur Pflege der Brunnen besprochen und eingesammelt wurden. Auch als die Wasserversorgung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach und nach durch feste Leitungen gesichert war und damit die Pütten ihre Bedeutung verloren hatten, hielten sich die Gemeinschaftstreffen und wandelten sich mehr und mehr zum geselligen Beisammensein. Die Zahlungen der Püttgenossen dienten nun nur noch dafür, den Schmuck für die Brunnen zu organisieren und einen Beitrag für das gemeinsame Fest zu leisten.
Das bei diesen Anlässen vorgelegte Püttbuch führten die Brunnengemeinschaften als Geschäfts- und Protokollbuch. Auch die eigentliche Versammlung und Feier wurde hierin genaustens dokumentiert und zugleich ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse des Jahres gegeben. Die erhaltenen Bücher sind damit auch eine wichtige regionalgeschichtliche Quelle; zeigen sie doch, wer in den Püttgemeinschaften verbunden war und wer etwa seit 1933 als Püttgenosse ausgeschlossen wurde.
Tabak, Bier und Brandwein wurden im 18. Jahrhundert gereicht. Doch konnte das Fest auch durch die Freigebigkeit des jeweiligen Püttmeisters opulenter ausgestaltet werden. Seit dem 19. Jahrhundert bildeten sich für jede Püttacht ritualisierte Formen des Beisammenseins aus, die bis ans Ende des 20. Jahrhunderts nur von Männern gepflegt wurden. Die Folge der Speisen, die Auswahl der gesungene Lieder, die bereits 1820 in einem Liederbuch zusammengefasst wurden, das Führen des Protokolls und die Zeremonie bei der Taufe der neuen Püttbrüdern und -schwestern oder bei der Übergabe des Amtes sind für jede Pütt geregelt und bieten den festen Rahmen des Festes.
Ich erinnere mich gut daran, als mir bei meiner Taufe das reine Brunnenwasser der Ratspütt über den Kopf genossen wurde und wie fremd mir anfangs das Singen der alten Lieder war. In diesem Jahr fehlt mir jedoch das Zusammensein mit den Nachbarn des Schlosses ganz besonders. Oft haben sich durch diese Treffen Bekannt- und auch Freundschaften gebildet, die ohne das Püttbier nicht zustande gekommen wären. Gute Nachbarschaft ist nicht nur Tradition, sondern hat gerade in dieser Zeit eine ganz neue Bedeutung gewonnen.
Von Antje Sander, die als „Schlossherrin“ an diesem Nachbarschaftsfest teilnehmen darf, obwohl sie eigentlich nur auf das Schloss aufpasst.