Beim Inventarisieren der Museumsbestände im Landrichterhaus in Neustadtgödens ist mir zufällig ein unveröffentlichter Aufsatz von Enno Hegenscheid in die Hände gefallen. Er wirft ein neues Licht auf die Geschichte des Landrichterhauses. Bisher wurde davon ausgegangen, dass sich das Gericht bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts im Landrichterhaus befand, danach aber in das Schloss Gödens umzog. Dies muss aber nach Sichtung des Berichts revidiert werden.
In der frühen ostfriesischen Grafenzeit bildete sich eine Verwaltungsteilung heraus: Zum einen übte der Landesherr als Grundherr in den Ämtern die volle landesherrliche Gewalt aus, die er durch den Amtmann verwalten ließ. Demgegenüber standen die Herrlichkeiten, in denen adelige Grundherren obrigkeitliche Rechte besaßen. Dazu gehörte auch die Gerichtsbarkeit, die sie an einen Landrichter delegierten. Der Sitz des Landgerichts der Herrlichkeit Gödens lag zu Beginn auf Schloss Gödens. Allerdings bestand das Bestreben der Herrschaft, das Gericht an den Mittelpunkt des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens der kleinen Herrlichkeit zu verlegen. So wurde um 1600 das heutige Landrichterhaus vor den Toren Neustadtgödens gebaut. Sowohl das Gericht als auch die Wohnung des Landrichters befanden sich bis ungefähr 1756 in diesem Gebäude, das heute als Domizil des Museums im Landrichterhaus dient.
Im Kopf-Schatzungs-Register von 1757 gehörte das Haus bereits einem Fuhrmann namens Oncke Hinrichs Luers. Enno Hegenscheid fand bei der Übersicht des Brandkassenregisters heraus, dass nachfolgende Landrichter mit samt dem Gericht und den dazugehörigen Akten in unterschiedliche Behausungen Neustadtgödens verzogen. Darüber beklagte sich am 3. April 1786 auch der Rentmeister Greiff und bemängelte, dass das Landgerichtsarchiv „bey der öfters geschehenen Umziehung der Landrichter sehr gelitten hätte“. Der Rentmeister bot dem Herrlichkeitsbesitzer Graf von Wedel an, ein „immerwährendes Amtshaus in der Neustadt“ zu beziehen. Dabei fiel seine Wahl auf das Haus des ehemaligen Rentmeisters Jestrup in der Sielstraße. Für ca. 600 Reichstaler wurde schließlich das Haus am 25. Oktober 1786 gekauft und von dem Landrichter bezogen und vermutlich bis in das frühe 19. Jahrhundert als Gericht genutzt. Dieses Landrichterhaus stand wahrscheinlich an der Stelle, wo sich heute das ehemalige „Hotel zur Deutschen Eiche“ befindet.
Stephan Horschitz